Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
Die Batterie Medikamente, die er schlucken musste, hätte einen Preisboxer umgehauen. Ich habe ihm immer gesagt, er soll mal zu einem anderen Arzt gehen. Seiner würde ihn mit dem ganzen Zeug noch umbringen. Ich dachte, ein Arzt, der seit dreißig Jahren vor sich hin praktiziert, der kann doch nicht auf dem neuesten Wissensstand sein …«
»Sie haben Ihren Onkel gefunden?«
»Ja. Es war schrecklich. Ich wollte eigentlich an meinem Auto basteln an dem Samstag. Ich hatte meinen Bertone nämlich bei ihm in der Garage stehen. Jedenfalls so lange er fahruntüchtig war. Ich kam aber erst gegen elf Uhr bei meinem Onkel an, weil ich am Abend vorher auf einer Fete versackt war. Es kam mir schon komisch vor, als ich das Grundstück betrat. Oben im ersten Stock waren noch die Vorhänge zugezogen.Das Schlafzimmer meines Onkels lag dort, aber gewöhnlich war er um diese Uhrzeit immer schon lange auf. Um ein Uhr hat er sich fast schon wieder für seinen Mittagsschlaf aufs Ohr gehauen …« Sebastian Noske lächelte und fuhr nach kurzem Blick in das erleuchtete Fenster seines Backofens mit seinem Bericht fort. »Da bin ich natürlich gleich ins Haus rein und hab nach ihm gesehen. Ich hab die Tür zu seinem Schlafzimmer aufgemacht und es sofort gewusst. Er lag tot in seinem Bett. Trotzdem bin ich noch hin, um seinen Puls zu fühlen. Ich dachte, ich müsste vielleicht einen Rettungswagen rufen. Aber er fühlte sich schon so kalt an, wie ein gerupftes Suppenhuhn. Ich war echt geschockt. Dann bin ich in Panik wieder raus aus dem Haus. Keine Sekunde wollte ich länger da bei ihm drinnen bleiben. Darum habe ich draußen von meinem Handy aus den Arzt angerufen. Das war ein echt fieser Morgen, kann ich Ihnen sagen …«
Pia nickte und fragte dann: »Wie sind Sie in das Haus gekommen?«
»Gute Frage. Ich hatte nämlich nie einen Schlüssel zu Onkelchens Haus. Nur zu der Garage hatte ich einen, und auch nur so lange, wie ich da drinnen schrauben durfte. Da war der Alte, ich meine, mein Onkel, etwas sonderbar. Aber ich wusste, dass er einen Schlüssel unter dem Blumentopf neben dem Eingang deponiert hatte.«
»Und damit sind Sie ins Haus gekommen?«
»Wie sonst? Ich bin doch kein Einbrecher.«
»Was sind Sie von Beruf, Herr Noske?«
»Was hat das mit meinem Onkel zu tun?«
Er war anscheinend doch nicht so unbedarft, wie er vorgab. »Sie sprachen davon, was Sie nicht sind … Und ich wundere mich, dass Sie an einem Montag mittags zu Hause sind«.
»Ach so – ich bin Kraftfahrer von Beruf. Da gibt’s leider keine geregelten Arbeitszeiten wie bei Ihnen. Wenn ich dann mal Zeit zu Hause habe, mach ich es mir schön. Tut ja sonst keiner …«
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein.«
Pia wollte ihn gern noch etwas am Reden halten. Ihr Eindruck, die naive Freundlichkeit sei nur gut geschauspielert gewesen, verfestigte sich, je mehr er sprach. Andererseits rechtfertigte die »Routineuntersuchung« eines Todesfalls nicht unbedingt weitere, persönliche Fragen. Sie versuchte es mit einem interessierten Gesichtsausdruck: »Was ist aus Ihrem Bertone geworden, der in der Garage stand? Fährt er wieder? Ich hatte auch mal einen alten Alfa …«
»Ach ja? Was denn für einen?«
»Eine Giulia Super«, log Pia und hoffte, er würde nicht weiter ins Detail gehen. Ihre Kenntnisse, italienische Autos betreffend, waren äußerst begrenzt.
»So eine hatte ich auch mal, mit Knochenheck! Aber die ist mir weggerostet. Ich hab vielleicht geheult, als ich die zum Schrott gebracht habe. Mein erstes Auto. Welches Baujahr war ihre Giulia?«
Pia hatte es befürchtet. Lügen brachten nichts als Unannehmlichkeiten. »Ich glaube, Baujahr ’72 oder so …«
Er nickte beeindruckt, sie hatte wohl ganz gut getippt.
»Der Bertone ist jetzt wieder zugelassen. Ich musste mir eine Garage hier in der Nähe mieten. Ein Scheißgeld wollen die für so eine jämmerliche Baracke haben …«
Pia nickte verständnisvoll, wie sie hoffte. Ihr brannte noch eine Frage auf den Nägeln, für die sie eine brauchbare Überleitung suchte. Sie wollte ihn nicht schon wieder in Abwehrhaltung treiben.
Sebastian Noske taxierte sie weiterhin mit seinem freundlichen, leeren Lächeln. »Sind Ihre Fragen, den Tod meines Onkels betreffend, damit erledigt?«, fragte er, ohne sich zu rühren.
»Noch nicht ganz.«
»Möchten Sie wissen, wo ich war, als mein Onkel gestorben ist?«
Komm schon, spuck es aus, dachte Pia. Sein Bedürfnis, es ihr zu erzählen, war fast greifbar. »Erinnern
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