Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
Geschäftsreise und sei nun in Begriff, in den Urlaub zu fliegen. Im Flur ihrer Wohnung standen ein großer Hartschalenkoffer, ein Matchsack und eine Reisetasche wie stumme Zeugen für ihre Aktivitäten.
Obwohl Michael Gerlach sein Kommen angekündigt hatte, begrüßte Frau Fischer die Kriminalbeamten mit Lockenwicklern auf dem Kopf. Sie trug einen Jogginganzug und Tennissocken. Für zwei hergelaufene Polizisten treibeich bestimmt keinen unnötigen Aufwand mit meinem Aussehen, übersetzte Marten Unruh ihren Aufzug im Stillen.
Sie führte Gerlach und Unruh ins Wohnzimmer und bot ihnen an, in einer schneeweißen italienischen Polsterlandschaft Platz zu nehmen.
»Sie kommen also wegen meiner Tochter Beate«, sagte Frau Fischer und setzte eine besorgte Miene auf, »ich hoffe, es ist ihr nichts zugestoßen …«
»Das wüssten wir gern von Ihnen«, hätte Unruh beinahe geantwortet. In seiner derzeitigen Stimmung hielt er es für angeraten, Gerlach die Befragung zu überlassen.
Nachdem sein Kollege geklärt hatte, dass es sich bei Frau Fischers Tochter, Beate Fischer, tatsächlich um die junge Frau handelte, die auf dem Kloster-Gymnasium im selben Jahr wie Kläre Tensfeld ihr Abitur gemacht hatte, erkundigte sich Gerlach nach ihrem Aufenthaltsort.
Frau Fischer winkte sogleich ab: »Tut mir Leid, da sind Sie umsonst gekommen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo meine Tochter sich gerade befindet. Sie ist ein sehr selbstständiger Mensch, dazu habe ich sie erzogen. Beate steht auf ihren eigenen Füßen, und es vergehen oft Wochen, manchmal auch Monate, in denen wir nichts voneinander hören.«
Sie sagte das, als hätte sie eine Mutter-Tochter-Beziehung damit zu ihrer Vollendung gebracht, dachte Unruh im Stillen.
»Aber Sie kennen doch ihren momentanen Wohnsitz? Wo ist sie denn gemeldet?«, insistierte Gerlach.
»Zuletzt war sie in Frankfurt. Sie war Stewardess bei der Lufthansa. Interkontinental. Aber da hat sie aufgehört, weil sie studieren wollte. Eltern-Unabhängigen-Bafög und so … Das letzte Mal, als wir uns sprachen, rief sie von Mallorca ausan. Sie wollte mir nur kurz erzählen, dass es die kleine Bar am Hafen noch gibt, die wir beide von früher kennen. Beate war schon immer ein ganz spontaner Mensch. Quirlig …«
»Wann war das?«
»Im April, oder nein, es muss März gewesen sein, bevor ich zur Messe gefahren bin. Ist das wirklich wichtig? Mir würde es ehrlich gesagt genügen, wenn Sie mir versichern, dass es meinem Kind gut geht. Sie gucken so ernst.«
»Wir suchen Ihre Tochter als Zeugin in einem Mordfall und sind hier, um ihren derzeitigen Aufenthaltsort herauszufinden. Wir gucken deshalb ernst, weil wir eine Mordermittlung schon berufsbedingt nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
Marten Unruh bedachte Gerlach mit einem amüsierten Blick. Frau Fischers Lächeln gefror. Sie betastete die Lockenwickler auf ihrem Kopf.
»Man hat Ihre Tochter am Samstag den siebten September in Lübeck gesehen. Sie war mit einer alten Schulfreundin zusammen. Sagt Ihnen der Name Kläre Tensfeld etwas?«
Frau Fischer lachte leise auf: »Das ist ein Name, den man wohl nicht so schnell vergisst. Ja, da war mal etwas. Es ist aber schon sehr lange her. Eine ziemlich seltsame Freundschaft war das zwischen den beiden. Beate konnte eigentlich mit Jungs immer mehr anfangen als mit Mädchen.«
»Hatte Ihre Tochter in letzter Zeit Kontakt zu Kläre Tensfeld?«
»Nein, sie hat sie jedenfalls nicht mehr erwähnt. Ich selbst habe Kläre seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ehrlich gesagt, ich habe nie verstanden, was die beiden Mädchen damals aneinander gefunden haben. Sie waren absolut unterschiedlich, was ihr Temperament und ihre Interessen anging. Eine Zeit lang war Beate fast jeden Nachmittag bei den Tensfelds.Anfangs musste ich sie nach Büroschluss immer dort abholen, statt in dem Hort, den ich teuer bezahlt hatte. Auch als sie älter war, ist sie oft dorthin. Wissen Sie, die Tensfelds machten immer so auf Bilderbuchfamilie, aber hinter der Fassade sah es nicht besser aus, als bei uns gewöhnlichen Sterblichen. Ihr Einfluss auf mein Kind war bestimmt nicht der beste. Aber was hätte ich denn machen sollen? Diese Tensfelds haben Beate langsam aber stetig gegen mich aufgebracht. Irgendwann hatte Beate an allem, was mich angeht, etwas auszusetzen. Sogar der Name, den ich ihr gegeben hatte, gefiel ihr nicht mehr!«
Dieses Phänomen nennt man unter Fachleuten Pubertät, dachte Unruh und fragte: »Sie halten es also
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