Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
für möglich, dass sich Ihre Tochter in Lübeck aufhält, ohne sich bei Ihnen zu melden?«
»Ja, ohne weiteres. Aber irgendwann meldet sie sich sicher wieder. Soll ich Ihnen Bescheid geben, wenn ich von ihr höre?«
»Ja, tun Sie das.«
Beate Fischer konnte inzwischen schon wieder überall und nirgends sein. Vielleicht rief sie in einer Stunde von den Malediven aus an, um ihrer Mutter zu sagen, dass der Tauchlehrer dort immer noch derselbe war wie vor ein paar Jahren … Unruh jedenfalls bezweifelte, dass die junge Frau es ihnen so einfach machen würde.
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen, Frau Fischer?«, kam es von Gerlach, der den großzügigen Wohnraum derweil mit den Augen erkundet hatte, und es kam Leben in Anneliese Fischers Gesicht.
»Oh! Sportmoden. Ich beliefere alles, was in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg einen Namen hat. Es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet, das alles aufzubauen.Eines Tages kann Beate wahrscheinlich ein gut laufendes Geschäft übernehmen. Dann wird sie besser verstehen, warum ich das alles getan habe.«
»Bestimmt …«, sagte Unruh, »man muss sie nur erst finden.«
»Wir brauchen die Adresse in Frankfurt, unter der ihre Tochter zuletzt gemeldet war«, meinte Gerlach. »Vielleicht kennen Sie auch ihren Aufenthaltsort auf Mallorca. Wir sind da nicht wählerisch.«
Frau Fischer stand mit einem Ruck auf. Ein hellblauer Lockenwickler löste sich und fiel auf die weiche Auslegeware. Sie zog ein paar Mahagonischubladen auf, blätterte in einem Adressbuch und lief dann in ein anderes Zimmer. »Hier, die Adresse in Frankfurt habe ich!«, rief sie endlich. Sie reichte Gerlach einen kleinen Zettel.
»Wissen Sie, ob sie dort noch gemeldet ist oder bis wann sie dort gewohnt hat?«
Anneliese Fischer schüttelte den Kopf. Die dürftige Informationsquelle war versiegt.
Im Aufstehen begriffen, fragte Unruh nach einem Foto von Beate Fischer. Markus Kessels Beschreibung der gesuchten Frau war mehr eine Ansammlung von Eindrücken als von konkreten Merkmalen gewesen. Es wäre daher hilfreich, wenn sie wenigstens ein Bild dieser Beate Fischer in den Händen hielten.
Frau Fischer schauderte ganz offensichtlich bei dieser Bitte. Zögernd nahm sie ein Foto im Silberrahmen von einer antik aussehenden Kommode. Es zeigte ein etwa siebzehnjähriges Mädchen vor dem verwaschenen Hintergrund eines professionellen Fotostudios. Frau Fischer betrachtete es prüfend, bevor sie es aus der Hand gab.
»So ein hübsches Bild …«, sagte sie bedauernd.
»Sie bekommen das Foto wieder«, versicherte Unruh ihr. Ob sie ihr Mädchen jemals wiedersehen würde, schien in diesem Moment zumindest fragwürdiger zu sein.
16. KAPITEL
A m nächsten Morgen lag dichter Nebel über den Straßen der Altstadt. Die kühle Feuchtigkeit dämpfte die Geräusche und ließ die Welt optisch auf die Größe einer Theaterbühne zusammenschrumpfen.
Pia Korittki und Marten Unruh hatten einen Parkplatz in einer Seitenstraße gefunden und standen nun vor dem wuchtigen Portal des Kloster-Gymnasiums. Pia blickte an der Fassade des alten Gebäudes hinauf, gegen zahllose schale Erinnerungen ankämpfend, die dieser Anblick bei ihr auslöste.
»Warum hast du mich mitgenommen, Marten?«, fragte Pia missgestimmt.
Unruh antwortete, ohne die drei Schülerinnen aus den Augen zu lassen, die rauchend an die Außenmauer gelehnt standen. Über ihren Köpfen prangte ein Graffiti: » Too cool for school «
»Gerlach hat sich heute Morgen krank gemeldet. Der hat sich einen Magen-Darm-Virus eingefangen, sagt er. Du bist doch hier mal zur Schule gegangen. Da dachte ich, es passt ganz gut …«
»Ich bebe vor Glück!« Pia stieß die schwere Holztür auf und stieg die Stufen in die Vorhalle empor.
»Warum warst du überhaupt hier. Ich dachte, Mädchen wären aufs Katharineum gegangen und das Kloster-Gymnasium war eine reine Jungenschule?«
»Das ist aber schon etwas länger her. Irgendwann Ende der Siebziger haben sie die Koedukation eingeführt und nach und nach auch Mädchen eingeschult.«
»Ich glaub, ich hatte noch Glück im Unglück …«, sagte Unruh, während er sich umsah, »sieht irgendwie so aus, als hätten sie hier den Rohrstock noch nicht allzu lange eingemottet.«
»Wo bist du zur Schule gegangen?«
»In der Bildzeitung wurde meine Schule mal großspurig als ›Rote Kaderschmiede‹ tituliert. In dem Artikel ging es glaube ich um die überlebensgroßen Darstellungen von Che Guevara und Marx an der Wand zum
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