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Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube

Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube

Titel: Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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Lönsmann-Pracht in etwa so alt war wie ihre verstorbene Cousine, Birgit Manstein. Sie war jedoch ein völlig anderer Typ. Alles an ihr sah weich aus und ein bisschen schlaff. Ihre Haut war von geplatzten Äderchen durchzogen, und sie trug einen Haarschnitt, den man in Pias Jugend als »Topfschnitt« bezeichnet hätte. Die harten Falten in ihren Mundwinkeln zeugten von Entschlossenheit.
    Frau Lönsmann-Pracht berichtete, dass sie ebenfalls Lehrerin sei. Sie arbeite an einer Sonderschule in Lübeck. Aus ihrer Erzählung war großes berufliches Engagement herauszuhören, und Pia bedauerte fast, dass sie das Gespräch auf Kläre Tensfeld lenken musste.
    »Ja, ich weiß davon …«, sagte Frau Lönsmann-Pracht zu Pias Erleichterung. »Thomas wohnt nicht mehr hier. Wir werden uns scheiden lassen. Jedenfalls dann, wenn wir es uns leisten können. Das mit Frau Tensfeld war eine traurige, aber völlig gewöhnliche Geschichte. Gewöhnlich bis zu ihrem bitteren Ende. Die junge Frau musste nämlich feststellen, dass Thomas niemals die Absicht hatte, mit ihr zusammenzuleben …«
    »Wissen Sie, ob die beiden noch Kontakt zueinander haben?«
    »Nein.« Sie lächelte. »Er wird sich nie zu ihr bekennen. Er hat zu viel Angst vor dem, was geredet wird. Thomas ist nicht mutig.«
    »Und Sie? Wie gehen Sie damit um?«
    »Ich falle weich, wissen Sie«, sagte die resolute Frau und strich sich eine glatte Haarsträhne aus dem Gesicht, »ich wusste schon lange, wie Thomas wirklich ist. Ich habe einen Freund. Er unterstützt mich in dieser schwierigen Trennungsphase.«
    »Erzählen Sie mir von Birgit Manstein«, forderte Pia sie auf. Frau Lönsmann-Pracht nahm ihre Brille ab und drehte sie in ihren Händen hin und her.
    »Dass mich ihr Tod nicht gerade in tiefe Verzweiflung stürzt, haben Sie ja sicher mitbekommen, Frau Korittki. Birgit Manstein war meine Cousine ersten Grades. Unsere Mütter waren Schwestern und wir jeweils ihre einzigen Kinder, geboren in einem Abstand von einem halben Jahr.
    So eine Konstellation sollte verboten werden, wenn Sie mich fragen. Unsere Mütter haben ihre Konkurrenzgefühle auf uns Töchter übertragen. Wir wurden gedrillt, gepiesackt, aufgestachelt und wie Anziehpuppen ausstaffiert. Wir wohnten in derselben Straße, gingen auf dieselbe Schule und sogar in denselben Turnverein.
    Birgit war ein cleveres und verdammt hübsches Mädchen. Sie schien mir immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Ich kam mir neben ihr vor wie Rumpelstilzchen in Mädchenkleidern.
    Birgit hat mit der Zeit den Kampf unserer Mütter verinnerlicht. Ich habe versucht, mich vom Schlachtfeld zurückzuziehen. Ich glaube heute, dass ich mich damals absichtlich dumm und unattraktiv gemacht habe, um ihren Angriffen aus dem Wege zu gehen.«
    Pia betrachtete sie neugierig. Hatte sie heute tatsächlich einen so großen emotionalen Abstand zu Birgit Manstein, wie sie vorgab? Oder schwelte da noch etwas?
    Carola Lönsmann-Pracht trank einen Schluck Tee und fuhr dann ungerührt mit ihrer Schilderung fort: »Meine Mutter starb, als ich siebzehn war, und mein Vater zog mit mir nach Rendsburg. Das löste meine Probleme fürs Erste. Ich habe später hier in Lübeck mein Referendariat absolviert. Ich lernte Thomas kennen, und just in dem Moment tauchte auch Birgit Manstein wieder in meinem Leben auf. Wie das ausging, können Sie sich sicherlich denken …«
    »Sie meinen, Ihr Mann, äh Exmann, und Birgit Manstein kannten sich?« Pia setzte ihre Teetasse so heftig auf, dass der Tee überschwappte.
    »Sicher. ›Kennen‹ im biblischen Sinne gesprochen … Die Geschichte zwischen den beiden hielt genau sechs Wochen. Danach wollte ich natürlich erst einmal nichts mehr von ihm wissen. Wäre ich nur dabei geblieben …«
    Ärgerlich erinnerte sich Pia an das Gespräch mit Thomas Pracht. Sie hatten ihn nicht nach Birgit Manstein gefragt. Ein Versäumnis, das sie wertvolle Zeit gekostet haben konnte …
    Pia verabschiedete sich nachdenklich. Als sie aus der Haustür trat, kam ihr ein bärtiger Mann in Norwegerpulli und Cordhosen entgegen. Er trug eine Gitterbox mit Lebensmitteln ins Haus. Carola Lönsmann-Pracht begrüßte ihren Freund freudestrahlend.
    Im Geiste verglich Pia Thomas Prachts nervöse Unruhe mit dem ruhigen Selbstverständnis seiner Frau. Liebesglück schien nicht immer denjenigen heimzusuchen, der ihm verbissen hinterherjagte.
22. KAPITEL
    E r lauschte auf das Verklingen der Türglocke im Inneren der Wohnung. Marten Unruh war besorgt. Er hatte

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