Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
mehr, Kondolenzbriefe zu empfangen. Und seine Wäsche von der Leine zu nehmen, auch nicht …
Durch das Aufgebot an Polizei wurden mehrere Mieter aus ihren Wohnungen gelockt, unter anderem auch wieder Frau Brenner mit ihrem Kind.
Marten Unruh fühlte die Blicke der Menschen im Treppenhaus auf sich ruhen, hörte die gemurmelten Spekulationen. Auch die hinzugezogenen Schutzpolizisten sahen so aus, als erwarteten sie von ihm eine Lösung des Problems. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt, und es fiel ihm auf einmal schwer, eine Entscheidung zu treffen.
»Lass die Uniformierten hier im Haus alle Mietparteien befragen«, murmelte Gerlach, »wir kümmern uns um dieses Atelier von dem Kessel. Wenn das nichts ergibt, schicken wir zwei von der Kriminaltechnik her, die die Wohnung auseinander nehmen.«
»Es hat ihn noch niemand offiziell vermisst gemeldet«, entgegnete Unruh, »wenn wir seine Wohnung auf den Kopf stellen, während er einen Kurzurlaub einlegt, dann sind wir die Gelackmeierten.«
»Vielleicht ist da niemand mehr, der ihn vermisst melden könnte. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Zeit verstreichen zu lassen.«
»Du hast wahrscheinlich Recht«, stimmte Marten Unruh widerwillig zu.
Das alte Lagerhaus, im dem die Künstlerin Amelie Brocke ihr Atelier hatte, war schnell gefunden. Scheinbar hatten nur Gerlach und Unruh bisher noch nichts von der Lübeckerin gehört, die mit ihren überlebensgroßen Skulpturen aus Metallschrott die deutsche Kunstszene erschütterte. Ihre Werkstatt nahm den gesamten vorderen Teil eines alten Lagerhauses ein, während sich Kessel mit einem weiteren Künstler die hinteren Räume teilte. Frau Brocke hatte Kessel angeblich schon seit Biederstätts Beerdigung nicht mehr gesehen. Das war Ende Juli gewesen.
Sie ließ die Kriminalbeamten bereitwillig durch die Räume gehen, die nur durch einen Vorhang voneinander abgetrennt waren. Unruh drehte eine Runde durch Kessels Arbeitsraum und nahm das Bild, das sich ihm dort bot, mit wachsender Beunruhigung in sich auf.
Amelie Brocke mochte Recht haben, wenn sie behauptete,Kessel wäre seit Wochen, wenn nicht Monaten, nicht mehr an seinem Arbeitsplatz gewesen. Seit Wolfgang Biederstätts Tod?
Das Arbeitsmaterial lag säuberlich gestapelt und in Rollen, Schachteln oder Mappen verpackt. Kessels Arbeitstisch und die Tastatur und der Monitor seines Computers waren eingestaubt.
Wo zum Teufel steckte Markus Kessel?
»Es ist nicht meine Schuld«, versuchte Unruh sich zu versichern. »Ich habe getan, was ich konnte …«
Nur, was konnte er denn schon? Leute fertig machen? Bei Vernehmungen so lange auf den Aussagen der Menschen herumreiten, bis sie alles sagten, nur um ihre Ruhe zu haben? Er bekam ein so seltsames Gefühl im Magen, dass er nicht wusste, ob er etwas essen, trinken oder eine Zigarette rauchen sollte. Am besten alles gleichzeitig.
»Lass uns abhauen«, meinte Gerlach, »hier richten wir eh nichts mehr aus. Wenn wir gleich losfahren, erwischen wir Kürschner vielleicht noch im Büro.«
Als Unruh und Gerlach wieder im Polizeihochhaus eintrafen, war Kürschner schon auf dem Weg nach Hause. Dafür trafen sie Pia im Gang vor ihrem Büro.
»Gibt’s was Neues?«, fragte sie, als sie die verdrießlichen Gesichter ihrer Kollegen sah. Unruh setzte sie kurz über die neuesten Wendungen ins Bild.
Pias Blick verdüsterte sich, als er zu seiner Folgerung kam, Kessel sei verschwunden. »Er kann aber eigentlich nicht dieser Freitags-Serie zum Opfer gefallen sein«, meinte sie bestimmt. »Heute ist erst Freitag. Er ist voraussichtlich im Laufe des Dienstages verschwunden, sagst du?«
»Er wurde am Dienstagmorgen zuletzt gesehen. Was immer das heißen mag.«
»Meinst du, unser Täter ist ein Pedant? Dienstag ist Squash, Mittwoch Skatabend, Donnerstag ist Kinotag und am Freitag wird gemordet?«, spottete Gerlach.
Pia schluckte die scharfe Entgegnung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter. Irgendwer hatte etwas in dieser Richtung schon einmal zu ihr gesagt. Aber bedeutete es etwas? »Weiß Kürschner schon Bescheid?«, fragte sie stattdessen.
»Er ist gerade auf dem Weg nach Hause. Der hatte sich bestimmt mal wieder auf ein Wochenende zu Hause gefreut.«
»Nützt ja nichts, spätestens morgen müssen wir alle wieder ran«, antwortete Marten Unruh.
»Ich muss morgen auf diese Hochzeit!« Pia sprach die Worte mehr zu sich selbst. Die standesamtliche Trauung ihres Bruders hatte sie durch die Beerdigung von Birgit
Weitere Kostenlose Bücher