Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
bereits mehrfach vergeblich versucht, Markus Kessel zu erreichen.
Anderthalb Wochen waren vergangen, seit Wolfgang Biederstätts Lebensgefährte im Kommissariat auf das Foto von Beate Fischer gedeutet hatte. Wenn Marten Unruh das letzte Zusammentreffen mit Kessel Revue passieren ließ, fühlte er sich unbehaglich. Hatte er diesen Markus Kessel nicht ernst genug genommen mit seinem Wunsch, den Mord an seinem Freund aufzuklären? Hätte er sich früher bei ihm melden müssen, um ihm über ihre vergebliche Suche nach Beate Fischer zu berichten?
Es war einfach zu hektisch zugegangen bei diesen Ermittlungen, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Er war schließlich nicht Kessels psychologischer Berater. Er war nur ein Kriminalkommissar, der den ganzen Mist nun an der Hacke hatte.
Er betätigte nochmals die Türglocke, nachdrücklicher als beim ersten Mal. Es war später Nachmittag, noch dazu ein Freitag. Markus Kessel konnte sich überall herumtreiben. In seiner Wohnung schien er jedenfalls nicht zu sein. Seit gestern erreichte Unruh dort nur seinen Anrufbeantworter. Nicht einmal auf seine Nachricht hin hatte Kessel sich gemeldet.
Da Kessel angegeben hatte, freiberuflich als Designer und Grafiker zu arbeiten, hatte Unruh gehofft, ihn vielleicht trotzdem zu Hause anzutreffen.
Die Stille, die sich nach dem Klingelton in der Wohnung ausbreitete, war zermürbend. Verdammt! Vielleicht war Kesselfür ein paar Tage weggefahren, um etwas Abstand zu dem Mord an seinem Freund zu gewinnen?
Unruh wollte gerade wieder gehen, als sich unten die Haustür öffnete und jemand das stille Treppenhaus betrat. Er hörte ein Kind krähen, und die Hoffnung, es könne Kessel sein, zerrann. Eine Frauenstimme redete leise auf das Kind ein, und es beruhigte sich. Dann hörte er Tritte auf den Treppenstufen, und eine schlanke Frauenhand sowie eine kleine Kinderhand schoben sich das Geländer hinauf. Unruh wartete ab.
»Oh, hallo. Warten Sie auf Herrn Kessel?«
Dieses war wohl ein Mietshaus von der Sorte, in dem die Nachbarn einander kannten, dachte Unruh erfreut. Er musterte die Frau, die einen Rucksack und zwei Einkaufstaschen trug. Das etwa zweijährige Kind an ihrer Seite starrte ihn mit großen brauen Augen an.
»Unruh von der Kripo Lübeck. Ich muss unbedingt heute noch mit Herrn Kessel sprechen, aber er ist telefonisch nicht zu erreichen. Wissen Sie vielleicht, wo ich ihn finden kann?«
»Er teilt sich mit zwei anderen Künstlern Atelierräume in der Nähe der Mediadocks, hat er mir mal erzählt. Vielleicht arbeitet er heute dort. Mir würde zu Hause auch die Decke auf dem Kopf fallen, nach allem, was passiert ist. Der Wolfgang Biederstätt war ein so lustiger Mensch. Herzlich und immer freundlich mit den Kindern. Sogar ich vermisse ihn, obwohl ich ihn nicht besonders gut kannte. Wie muss es da erst dem Markus Kessel gehen?«
Darüber wollte Unruh jetzt nicht nachdenken. Er zweifelte mehr und mehr an seinem Tun in den letzten Tagen. Wieso hatten Gerlach und er sich nicht einmal die Adresse von Kessels Arbeitsstätte notiert?
»Wissen Sie, wie ich dieses Atelier finden kann?«
»Nein, leider nicht«, sagte die Frau bedauernd. Das Kindhatte sich derweil auf dem Treppenabsatz niedergelassen, packte ein paar Joghurts aus der Tasche und stelle sie der Reihe nach auf wie Bauklötze.
»Wissen Sie jemanden, der mir da weiterhelfen könnte?«
»Eine der Künstlerinnen dort ist bekannt. Amelie Brocke heißt sie. Sie macht Skulpturen, hatte auch mal eine Ausstellung dort, eine ›Vernissage‹. Vielleicht finden Sie so das Atelier im Telefonbuch oder im Branchenbuch?«
»Ich werde es versuchen. Vielen Dank, Frau …?«
»Brenner, Jana Brenner«.
Unruh stieg vorsichtig über die aufgereihten Joghurtbecher und Butterpäckchen hinweg, um zur Treppe zu gelangen, doch Frau Brenner schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.
»Äh, Herr Kommissar? Könnten Sie Herrn Kessel bitte ausrichten, er möge sich mal bei mir melden, wenn Sie ihn sprechen? Ich habe ihn seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, und seine Wäsche hängt im Wäschekeller und blockiert fast die gesamten Leinen. Ist ja nur eine Kleinigkeit, aber trotzdem …«
Unruh stutzte. »Wann haben Sie Herrn Kessel denn zuletzt gesehen?«
Sie verzog nachdenklich das Gesicht und ging in die Hocke, um ihre Einkaufstasche wieder einzupacken.
»Ich weiß nicht genau. Am Sonntag auf jeden Fall. Da sind wir aus Bielefeld von meiner Mutter zurückgekommen und haben ihn im Treppenhaus
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