Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
Anbeißen, dank Push-up-BH mit Gelkissen. Der modernen Dessousindustrie sei Dank. Sie klebte sich Pflaster auf die Zehen, bevor sie in die schwarz glänzenden High Heels schlüpfte. Die Dinger hasste sie mit Leidenschaft. Waren die geliehenen Jessica-Simpson-Sandalen von Camilla schon furchtbar, so erfüllten diese hier alle Kriterien, um als Folterinstrument durchzugehen. Sie stöckelte von der Küche zum Badezimmer und wieder zurück, verteilte ein paar zusätzliche Pflaster zur Sicherheit und packte ihre Turnschuhe in die kleine Handtasche. Mit durchgedrückten Schultern stellte sie sich vor den Spiegel. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt und rot leuchtenden Lippenstift aufgetragen. Jetzt sah sie aus wie ein wandelndes Plakatmodel. Der Libellenanhänger an ihrer Kette versank so verrucht zwischen ihren Brüsten, dass sie beinahe rot wurde. Wow.
Genau das, was sie brauchte.
Auch wenn sie es vor Gabriel heruntergespielt hatte, ihr kleiner abendlicher Ausflug barg ein paar Risiken und die Kletterpartie ins Penthouse war nur eines davon. Sie stopfte ihre Pistole neben die Schuhe ins Täschchen, das damit zum Bersten gefüllt war und so schwer, dass das Tragekettchen ihr in die Schulter schnitt. Hoffentlich merkte es keiner und wurde misstrauisch. Ihre Rippen schmerzten wieder, obwohl sie in den letzten Stunden eine halbe Packung Tylenol geschluckt hatte. Sie tastete über die Bandage und verzog das Gesicht. Jetzt war nicht die richtige Zeit für Selbstmitleid. Sie würde das durchstehen wie ein großes Mädchen.
Marshall wartete bereits vor dem Haus, als sie die Treppen hinunterstieg. Er ließ den Motor an und bleckte anerkennend die Zähne.
„Was meinst du?“ Sie strich sich eine Haarsträhne zurück, die sich aus dem Knoten gelöst hatte. „Gebe ich eine gute Edelhure ab?“
„Weltklasse“, sagte er mit breitem Grinsen. „Sicher, dass wir nicht das Geschäftsfeld wechseln sollen?“
Sie schnitt eine Grimasse und versuchte, es sich im Sitz bequem zu machen, ohne das Kleid zu zerdrücken.
„Ich habe noch mal nachgedacht“, setzte Marshall an, als sie auf den Freeway fuhren. „Über das, was du mir heute Nachmittag erzählt hast.“
„Und glaubst jetzt, ich sollte es mal langsamer angehen lassen? Damit die Halluzinationen verschwinden?“
„Das war mein erster Gedanke“, gab er zu.
„Und der zweite?“
„Dass das die abgefahrenste Story ist, die ich jemals gehört habe. Wenn wir schon nicht zu den Bullen können, warum rufen wir nicht die Typen von der Presse an?“
„Hmhm, die Jungs von ‘UFO Observer’ finden das bestimmt wahnsinnig interessant.“ Andererseits, vielleicht war die Idee gar nicht so schlecht. Wenn die Medien einen Skandal witterten, verwandelten sie sich in Bluthunde. Ein Albtraum für VORTEC, wahrscheinlich ihr Ende, wenn die Lawine erst einmal ins Rollen geriet. Dann würde ihnen auch der Schutz vor polizeilichen Ermittlungen nicht mehr helfen.
Der Verkehr wurde dichter. Marshall zog auf die rechte Spur und nahm die Chinatown-Abfahrt nach Downtown, vorbei an den Blechlawinen. Straßenlichter flackerten über sein Gesicht. „Was machen wir, wenn dieser Irrsinn vorbei ist?“
Sie starrte auf die geschwungenen Pagodendächer mit den roten Laternen und den chinesischen Schriftzeichen auf weißem Grund. Zurück zur Normalität? Schwer vorstellbar. Doch die Welt drehte sich weiter. Die Miete zahlte sich nicht von allein. Marshall warf ihr einen undeutbaren Blick zu.
„Kann ich dich was Privates fragen?“
„Klar.“
„Bist du zufällig gerade verliebt oder so was?“
Violet stockte der Atem, so überrumpelte sie die Frage.
„Und wenn ja, wer ist der Glückliche?“
Blut schoss ihr ins Gesicht. „Wie kommst du denn darauf?“
Er lachte. „Sieh dir mal selbst zu und frag dann noch mal.“
Sie betrachtete ihre Fingernägel. „Okay. Verliebt ist übertrieben.“ Warum zitterte dann ihre Stimme, als sie das sagte?
„Aha.“ Er stoppte vor einer Ampel. „Wer?“
„Du kennst ihn nicht.“
„Dann klär mich auf.“
„Du bist nicht meine Mutter!“
„Nein, aber dein einziger Kumpel, bei dem du dich ausweinen kannst, wenn sich mal wieder rausstellt, dass der Typ von gestern Nacht verheiratet ist und vier Kinder hat.“
Sie fand eine ungeheuer interessante Naht an ihrem Kleid, die ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. „Ich stelle ihn dir vor“, murmelte sie, „wenn es sich ergibt.“
Die Ampel sprang auf Grün, Marshall gab Gas. Sie bogen in die dritte
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