Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
Auf der Anhöhe hatten ein paar Creosotebüsche Wurzeln geschlagen, die Blüten leuchtend gelb gegen den tiefblauen Himmel.
Wasser glitzerte auf dem Boden, ein Netz von Rinnsalen, die sich in den Kies gegraben hatten und Inseln gleißend weißer Salzausblühungen umspülten. Dazwischen wuchsen Kissen aus gelblichem Gras. Ein Schwarm kleiner Vögel kreiste über dem Tümpel, stieß nieder und erhob sich wieder, eine komplexe Choreografie. Weiß leuchteten ihre Bäuche gegen den Himmel, ihre Schatten schwarz auf dem Grund.
„Mein Gott.“ Sie konnte sich kaum überwinden, ihre Füße auf die winzigen Salzblüten zu setzen.
Und dann entdeckte sie die Libellen. Riesig waren sie, leuchtend blau und orange. Eine saß auf einem Stein. Zwei andere glitten über den Tümpel, umtanzten einander, verloren sich und fanden sich neu. Das ewige Spiel in seiner schönsten Form.
Ihr Blick suchte und fand Gabriels Augen. Ein Lächeln tanzte um seine Mundwinkel. Mehr als zuvor spürte sie, dass sein Spott Selbstschutz war. Er machte sich verletzlich, doch wollte sich nicht vollends entblößen.
„Du hast dich daran erinnert“, sagte sie. „An die Libellen.“
„Dein Tümpel hinter der Union Station.“
„Es gibt ihn nicht mehr.“ Auf Zehenspitzen machte sie ein paar Schritte. Unter ihren Sohlen knirschte Kies. „Sie haben den Kanal zugeschüttetund betoniert.“
„Das tut mir leid.“
„Muss es nicht.“ Sie ging in die Knie und betrachtete eine rote Libelle, die auf einem Zweig balancierte. „Das Wasser hier draußen ist wie ein Wunder.“
„Es gibt eine Menge Oasen wie diese hier in der Mojave. Sie sind nur nicht leicht zu finden.“ Gabriel beschirmte seine Augen vor der Sonne. „Die Indianer, die früher hier lebten, wussten genau, wonach sie suchen mussten.“
Violet richtete sich auf und folgte dem Wasserlauf, bis er zwischen den Ausläufern der Dünen versickerte. Das Pfeifen der Vögel wehte durch die Luft. Sie ließ sich auf den Boden fallen und band ihre Schuhe auf. Genussvoll grub sie ihre Zehen in den Sand. Fast fühlte sie sich wieder wie das Kind, das am Tümpel hinter der Union Station versucht hatte, die geheime Sprache der Feen zu ergründen. Gabriel streckte sich neben ihr aus.
„Wie lange lebst du schon hier?“, fragte sie.
„Mein Vater ist I94I in die Neue Welt gegangen, nachdem die Nazis seinen Gutshof bei Krakau niederbrannten. Er wollte nichts mehr zu tun haben mit Europa und seinen Kriegen.“ Sein Arm schob sich unter ihre Schultern und zog sie näher zu sich heran, bis ihr Kopf in seiner Halsbeuge ruhte. Sein Atem in ihrem Haar war wie die Flügel der Libellen. „Ich habe ihn begleitet. Los Angeles zieht unsere Art an wie die Motten das Licht. Aber vielleicht tun das alle großen Städte. Mein Vater fand hier schnell Freunde. Er sammelte Künstler und Denker um sich, die ihm Hofstaat und Publikum zugleich waren. Nicht jeder vom Blut ist berufen, ein Krieger zu sein. Auch wenn es viele zu den Waffen zieht.“ Er lachte ein wenig. „Wir sind wie geschaffen für das Kriegshandwerk. Schwer umzubringen.“
„Und du? Was war mit dir?“
„Ich war mein Leben lang Söldner. Also bin ich bin Katherinas Garde beigetreten, als wir nach L.A. kamen. Allerdings ging das nicht lange gut.“
„Was ist passiert?“
„Katherina hasst meinen Vater aus tiefstem Herzen. Auch wenn Thomasz es abstreitet. Ich weiß, dass da etwas zwischen ihnen ist. Jeder kann es sehen. Nachdem sie erfuhr, dass ich Thomasz’ Eysmonts Sohn bin, war mein Scheitern in der Garde nur eine Frage der Zeit.“ Sein Lachen erschütterte ihr Haar. „Natürlich war es nicht gerade hilfreich, dass ich mir nicht gern unsinnige Befehle erteilen lasse.“
„Und deshalb bist du in die Wüste gegangen?“
„Ich habe das Haus einem Kerl abgekauft, der die Nase voll davon hatte, hier draußen Pferde zu züchten. Ist ein mühsames Geschäft auf dem kargen Boden.“
Sie fasste nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger in seinen. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, wie es sein musste, wenn einem eine so lange Lebensspanne gegeben war. Wenn Jahre verstrichen wie ein Wimpernschlag.
Gabriel rollte sich herum und blickte auf sie herab. „Warum fragst du das?“
„Ich interessiere mich für dich.“ Faszinierend, wie leicht es ihr fiel, ihm das zu sagen. Früher hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen, als einem Mann gegenüber ein solches Geständnis zu machen. Aber vielleicht lag es daran, dass es dieses Mal die
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