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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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ehemalige Aluminiumfabrik“, sagte Marshall. „Die Firma ging in den Achtzigern Bankrott. Das Gebäude gehört jetzt einer Gesellschaft namens Marks Real Estate.“
    „Die es an VORTEC vermieten.“ Erneut studierte sie den Mietvertrag. „Okay, nicht an VORTEC. Die tauchen hier gar nicht auf. Der Mieter ist Stephan Amaryllis. Er hat eine Genehmigung für die Verarbeitung von hochgiftigen Chemikalien in der Anlage.“
    Marshall lachte auf.
    „Was ist daran so witzig?“
    „Sehr beliebter Trick. Hält die Bullen aus den Koksküchen draußen. Willst du mir erzählen, die DEA weiß nichts davon?“
    „Na, wenn die davon wüssten, wäre es nicht so populär, oder?“, gab sie mürrisch zurück.
    „Du besorgst dir eine Sondergenehmigung für den Umgang mit gefährlichen Stoffen. Damit fällst du automatisch unter bestimmte Auflagen. Zum Beispiel musst du sicherstellen, dass nicht einfach jemand auf deinen Hof spazieren kann und erblindet, weil er irgendwelche Dämpfe einatmet.“
    „Lass mich raten, das gilt auch für die Cops?“
    „Sie brauchen eine Autorisierung. Das dauert ein bisschen und außerdem kann man leicht herausfinden, wenn so ein Dokument ausgestellt wird. Dann heißt es Klarschiff und weg mit dem Stoff, bevor die Polizei an die Tür klopft.“
    „Ah“, sagte sie schwach. „Interessant.“
    „Entspann dich.“ Er klang fröhlich. „Du bist kein Cop mehr.“
    „Nein. Dein Glück.“
    Sie hörte kaum den hellen Glockenton des Aufzugs, realisierte nicht, dass er nicht Teil der Starbucks Geräuschkulisse in ihrem Telefon war. Dann glitt ein Lichtstreif über den Boden, leckte über ihre Füße und ließ sie herumfahren.
    „Shit“, murmelte sie in den Hörer. „Warte.“
    Sie ließ das Telefon fallen und packte ihre Pistole. Geistesgegenwärtig raffte sie die Unterlagen in die Mappe und ließ sie zurück in das Hängeregister fallen, stieß die Schublade mit einem Fuß zu und drehte sich um.
    Zu spät. Helligkeit flutete den Raum. Ein Mann tauchte im Durchgang vom Korridor auf. Stephan. Sie erkannte ihn sofort. Er sah so vollkommen aus wie auf dem Foto, das Mom ihr gezeigt hatte. Ein hübsches Gesicht, seltsam alterslos, mit blondem, grau meliertem Haar. Kein Zeichen von Panik flackerte über sein Gesicht, als er sie entdeckte. Kein Erschrecken, nicht einmal Überraschung. Entweder er hatte sich sehr gut im Griff oder er war gewarnt worden. Langsam, mit einer kontrollierten Bewegung, setzte er seinen Aktenkoffer auf dem Parkett ab.
    „Guten Abend“, sagte er.
    Sein Blick glitt an ihr hinunter, blieb an der Browning hängen, wanderte tiefer zu ihren Füßen und wieder zurück. Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Ihr wurde überscharf bewusst, wie sie aussehen musste in ihrem zerknitterten Dolce & Gabbana Flitter, an der Seite geschlitzt, den Turnschuhen, der verwüsteten Frisur und der Pistole in der Hand. Nicht zu vergessen den Diamantschmuck im Wert von hunderttausend Dollar in den Ohren. In einem schwachen Versuch, ihre Würde zu wahren, richtete sie die Waffe auf seine Brust. Nicht, dass es ihn beeindruckte. Ganz im Gegenteil.
    „Was für eine hübsche Überraschung.“
    Seine Stimme klang in Wirklichkeit noch angenehmer als am Telefon. Er verbeugte sich leicht, als seien sie einander soeben auf einer Dinnergesellschaft vorgestellt worden.
    „Ich bin Stephan. Und mit wem habe ich die Ehre, bitte?“

    Wie ein Schatten glitt Asâêl durch die Asphaltschluchten. Ein warmer Luftstrom trug ihn zwischen den glitzernden Türmen hindurch,hinunter und wieder hoch zu den Dächern. Myriaden winziger schwarzer Flügel verwirbelten in seinem Pfad, streiften seine Haut, seine Lippen, sein Haar. In einem Moment waren sie da, im nächsten taumelten sie davon. Er spürte sie, lauschte ihrem Flüstern. Alle zusammen woben sie eine halb bewusste Entität, wie ein höheres Wesen, das in einem Wachtraum gefangen ist. Mehr als die Summe seiner Teile. Etwas in ihm zog sie magisch an, die Nachtfalter mit ihren samtweichen Flügeln. Asâêl verstand noch nicht die Natur dieser Kraft, doch das würde sich ändern. Einst hatte er darum gewusst, es nur vergessen in den Jahrtausenden seines Kerkers.
    Doch er verstand bereits, dass sie ihm nützlich sein konnten. Er konnte fühlen, was sie fühlten und sehen, was sie sahen. Mehr rohe Emotion als wirkliche Bilder gaben sie ihm doch die Sicherheit, an vielen Orten gleichzeitig zu sein. Ganz und dennoch mit tausend Gesichtern, tausend Gedanken

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