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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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wenigstens anrufen können. Du weißt, wie sie ist.“
    Ein dünnes Schluchzen drang unter dem Schleier hervor. Emilys Schultern zitterten. Sie legte beide Arme um ihren Oberkörper, als würde sie frieren. „Es war Stephan“, schniefte sie. „Er hat mich eingesperrt. Ich durfte sein Apartment nicht verlassen. Er hat mir mein Handy weggenommen und ...“
    „Bitte“, unterbrach Violet, „ich bin nicht irgendein Cop, dem du eine Story erzählen musst. Ich weiß, dass du diese verdammten Sangrin Kapseln geschluckt hast, okay? Ich habe sie in deinem Haus gefunden. Ich weiß auch, dass das Zeug schwere Nebenwirkungen hervorruft.“ Sie hatte sich nie so zerrissen gefühlt, wie in diesem Moment. Abscheu kämpfte mit Schuldgefühlen. Emilys Lügen machten sie krank, diese Fassade des verzärtelten Kindes, mit der sich Emily durchs Leben mogelte. Andererseits waren die Sangrin Mutationen etwas, das sie selbst Emily nicht wünschte.
    Violet war die Ältere von beiden, sie war stark, sie kämpfte für das, was sie wollte. Kampf lag nicht in Emilys Natur. Emily war, was sie war. Trotzdem blieb sie ihre Schwester. Blut ist dicker als Wasser, pflegte Mom zu sagen. Violet beugte sich ein wenig vor und schlug einen sanfteren Tonfall an. „Das ist auch der Grund, warum du den Hut und die Handschuhe nicht ausziehen willst, nicht wahr?“
    Ein heftiger Weinkrampf erschütterte Emilys Körper.
    „Was ich nicht verstehe, ist, warum du Sangrin genommen hast.“
    „Stephan“, stieß Emily erstickt hervor. „Es war Stephan. Er hat mich gezwungen.“
    Große Lügen, kleine Schwindeleien. Das war Emilys Welt. Violet schluckte ihren Groll hinunter und bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. Es half niemandem, wenn ihre Schwester einen Nervenzusammenbruch erlitt.
    „Aber warum?“
    Schweigen.
    „Ist es wegen der Leukämiediagnose? Emily, ich weiß, dass sie dir Leukämie diagnostiziert haben.“
    Emilys Worte waren kaum zu verstehen. „Ich hatte so furchtbare Angst. Der Arzt sagte, ich müsse jetzt damit leben. Eine Therapie würde die Symptome unterdrücken, aber die Krankheit nicht heilen. Ich wollte Mom nicht zur Last fallen, okay? Ich wollte nicht, dass sie sich Gedanken macht.“ Sie fasste mit einer behandschuhten Hand unter den Schleier, um die Tränen abzuwischen. „Dann hat Stephan mir Sangrin gegeben. Ich wusste doch nicht, dass es nicht funktionieren würde. Bei den anderen hat es auch geholfen!“
    Obwohl diese Version einigermaßen schlüssig klang, stimmte etwas nicht. Warum hätte Stephan den komplizierten Umweg über Sangrin gehen sollen, wenn er ihr einfach etwas von seinem Blut hätte einflößen können?
    „Und dann fingen die Veränderungen an“, fuhr Emily fort. „Ich wollte nicht, dass Mom mich so sieht. Ich wollte zu einem Arzt, aber Stephan hat das nicht zugelassen.“
    Warum bestand sie so sehr darauf, dass Stephan sie festgehalten hatte? Die Geschichte war nicht stimmig. Doch die Uhr stand auf drei Uhr nachts und Violet war todmüde und nicht in der Stimmung, Emily einem Verhör zu unterziehen.
    Draußen näherte sich ein Wagen, Türen schlugen zu. Dann leise gewechselte Worte. Einen Moment später tauchte Pascal auf.
    „Habt ihr Gabriels Vater gefunden?“, fragte sie.
    Der Schmied nickte. Erschöpfung zeichnete sein Gesicht. „Wir haben sie alle gefunden.“
    „Lebend?“
    „Geschwächt, aber am Leben.“
    „Gott sei Dank.“ Ein schwerer Knoten löste sich tief in ihrer Brust. „Wo ist Gabriel?“
    „Kümmert sich um Thomasz.“ Pascals Blick wanderte zu Emily und wieder zurück. In seiner Wange zuckte ein Muskel. „Ich kann euch zu ihm bringen, wenn du willst.“

    Gabriel breitete die Decke über seinen Vater aus und trat zurück. Thomasz war während der Fahrt nicht erwacht. Sein Atem flatterte schwach über halb geöffnete Lippen. Es würde einige Zeit dauern, bis sich die Drogen in seinem Blut verflüchtigt hatten. Die Einstichstellen in seiner Armbeuge versanken in einem gelblichen Bluterguss, der an den Rändern purpurn schimmerte.
    Jemand würde dafür bezahlen.
    Bei Gott, er würde Stephan finden und dann würde nichts auf der Welt ihn retten. Gabriel ballte die Fäuste so fest, dass seine Nägel sich schmerzhaft in seine Handballen gruben. Er starrte zum Fenster, wo ein großer Nachtfalter gegen die Scheibe flatterte.
    „Vater“, flüsterte er. „Kannst du mich hören?“
    Wenn Thomasz erwachte und seine Kräfte zurückgewonnen hatte, mussten sie reden. Unbehagen ballte

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