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Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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sich in seiner Brust. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal wirklich Zeit mit seinem Vater verbracht hatte. Mehr jedenfalls als die kurzen Besuche, um Belanglosigkeiten auszutauschen und sich vom Wohlbefinden des alten Mannes zu überzeugen. Wann hatten ihre Welten begonnen, auseinanderzudriften?Nach dem Zerwürfnis mit Katherina, als Gabriel sich so sehr an das Flüstern des Windes in der Wüste gewöhnt hatte, dass er seine Gesellschaft der eines jeden Menschen vorzog? Oder schon viel früher, in ihrem ewigen Disput um Krieg und Frieden und Thomasz’ naivem Glauben, dass Männer wie Gabriel und Stephan einen Unterschied machen konnten, wenn sie nur entschieden, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen?
    Warum musste man etwas verlieren, um zu verstehen, wie kostbar es war? Liebte er seinen Vater nun mehr als zuvor, weil er beinahe getötet wurde? Gabriel umschloss die Hand seines Vaters, die kleiner und zerbrechlicher war als seine.
    „Wir wissen nichts voneinander“, murmelte er.
    Er hielt die Hand noch etwas länger, bis Pascals Stimme von unten heraufscholl. Als er sie endlich losließ, fühlte es sich an wie ein körperlicher Verlust. Er stieg die Treppen hinunter und sah Violet durch die Tür treten, blass und erschöpft. Emily folgte ihr dichtauf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Schleier an ihrem Hut mehr war als ein modisches Accessoire und sie Lederhandschuhe trug, deren Fellbesatz ein breites Stück Haut oberhalb des Handgelenks verdeckte. Kälte breitete sich in seinem Magen aus.
    „Hey“, sagte Violet, als ihre Blicke sich trafen. Ihre Stimme klang flach.
    Seine Augen wanderten von ihr zu Emily und wieder zurück. Wie sehr er sich wünschte, dass ihre Schwester einfach verschwinden würde, sich in Luft auflösen, als habe sie nie existiert. Schon jetzt konnte er spüren, wie sie die Atmosphäre befleckte, wie unsichtbares Gift. Violets Anspannung war mit Händen zu greifen.
    „Thomasz hat Gästezimmer in den benachbarten Lofts“, sagte Pascal.
    „Ich weiß.“
    „Hier sind die Schlüssel.“ Pascal zog eine der Küchenschubladen auf und beförderte eine Holzschachtel zum Vorschein. Münzen lagen darin, Streichhölzer, Knöpfe und eine Handvoll Schlüssel. Er machte eine Geste zur Galerie, die die oberen Räume begrenzte. „Wie geht es ihm?“
    „Er schläft.“
    „Gut.“ Pascal warf Emily einen langen Blick zu. So lang, dass Gabriel ihn unmöglich übersehen konnte. „Ich bleibe heute Nacht bei ihm. Dann könnt ihr euch in den Nachbarlofts einquartieren, okay?“
    Er ließ die Schlüssel auf die Küchentheke fallen, murmelte etwas Unverständliches und stieg die Treppen hinauf. Stille breitete sich aus, nachdem er in Thomasz’ Schlafzimmer verschwunden war. Violet verlagerte ihr Gewicht mit einer nervösen kleinen Bewegung. Emily neben ihr verharrte stocksteif. Gabriel konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch wurde den Eindruck nicht los, dass sie ihn wie paralysiert anstarrte. Er verspürte Lust, ihr den Hut herunterzureißen, sie bei den Schultern zu packen und gegen die Wand zu stoßen. Sie zu fragen, ob sie gewusst hatte, welches Schicksal ihm bestimmt war, als sie in seinem Haus in der Mojavewüste auftauchte.
    Doch das war es nicht wert. Nicht jetzt, mit Violet, die Aggression aus jeder Pore atmete. Er musste mit ihr reden und zwar allein. Glatt schob er sich an den beiden Schwestern vorbei in die Küche und nahm die Schlüssel.
    „Dann sehen wir uns mal die Gästezimmer an.“
    Sie folgten ihm ohne ein Wort. Emilys Absätze klackten auf dem Steinboden, als sie in den hohen, dunklen Korridor traten, der mit seinen Ziegelwänden und den staubigen Neonleuchten genauso aussah wie zu Zeiten des Brauereibetriebes vor vierzig Jahren. Er schloss die Nachbartür auf und schaltete das Licht ein. Der Loft war etwas kleiner als Thomasz’ Apartment, doch geschmackvoll möbliert mit dunklen Möbeln und hellen Leinenbezügen. Er schob einen Paravent aus japanischem Reispapier beiseite, hinter dem sich ein Queen-Victoria-Bett mit geschnitzten Holzpfosten und einer bestickten weißen Überdecke verbarg.
    „Deine Schwester kann hier schlafen“, sagte er, an Violet gewandt. „Handtücher sind im Bad. Im Kühlschrank stehen Wasser und Limonade. Es gibt auch ...“, er deutete auf ein Küchenregal, „Kaffee und Tee.“
    Violets Gesichtszüge entspannten sich ein wenig. „Okay für dich, Emily?“
    Emily nickte, eine winzige Bewegung, die ihren Schleier auf der Schulter aufstoßen

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