Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd

Titel: Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
mir!“, fiel Carl ein.
    „Ich kann nicht“, stöhnte Thomasz.
    Stephans Aura bäumte sich auf und verebbte. Kälte breitete sich in Gabriels Brust aus. Er ballte die Hände zu Fäusten. Der Schmerz in seinen Handgelenken war besser als diese schreckliche Leere, die dort wogte, wo zuvor Stephans Geist gewesen war.
    „Sag es ihm“, flüsterte Gabriel. „Bitte.“
    „Nein.“ Die Lider seines Vaters flatterten. Er schloss die Augen. Unter seinen Wimpern bildeten sich Tränen. Seine Lippen bewegten sich kaum. „Nein.“
    Carl seufzte. „Wir könnten uns hier stundenlang miteinander beschäftigen, aber mir läuft leider die Zeit davon.“ Mit einem Schulterzucken ließ er von Thomasz ab und wandte sich zurück zu Gabriel. In seinem Blick lagen Interesse und leises Bedauern. Ein Psychopath mitdem Aussehen eines Literaten. „Du weißt, worauf das hinausläuft. Er lässt mir keine Wahl.“
    Die Schnelligkeit, mit der er sich bewegte, war verblüffend. Er musste mal beim Militär gewesen sein, denn er handhabte das Kampfmesser mit der lässigen Routine eines Profis. Mit einem Arm umschlang er Gabriel, mit der anderen Hand rammte er ihm die Klinge zwischen die oberen Rippen und vergrub sie bis zum Heft im Fleisch. Der Schmerz war eine weißglühende Flamme, als Carl den Dolch herumdrehte.
    Thomasz und die anderen Männer verschwammen vor Gabriels Augen. Sein Atem flatterte. Blut rauschte ihm in den Ohren. Es waren nicht die Schmerzen allein, es war vor allem der Krater aus Leere, den Stephans Aura zurückgelassen hatte, es waren Thomasz’ Qualen, die er körperlich zu spüren glaubte.
    Er wusste, dass Thomasz Sinne ebenso fein waren wie seine, wahrscheinlich sogar um ein Vielfaches feiner. Sein Vater hatte Stephans Sterben genauso gefühlt wie er. Gewiss empfand er auf einer abstrakten Ebene auch den bohrenden Schmerz, der durch Gabriels Fleisch pulsierte. Sie waren wie zwei gegenüberstehende Spiegel, die Schmerz und Leid in unendliche Tiefe zurückwerfen und bei jeder Reflexion verstärken, bis weit über die Grenze des Erträglichen hinaus.
    Undeutlich vernahm er die Stimme seines Vaters, wie durch brennenden Stoff und Nebelschwaden.
    „Ich kann ihn nicht preisgeben“, schluchzte Thomasz. „Ich kann nicht.“
    Mehr Schüsse krachten. Er hörte Schreie und wusste nicht einmal, ob es Thomasz war oder er selbst, der schrie. Die Wucht der Einschläge schleuderte seinen Körper in den Ketten zurück, doch nicht sehr weit. Er verlor das Gefühl in seinen Armen, seine Finger wurden taub. Auf einer losgelösten Ebene begriff er, dass die Kugeln seine Schultern zertrümmert hatten. Ob Adrenalin oder gnädiger Schock, er wusste es nicht, der Schmerz blieb gleich. Er verlor auch nicht das Bewusstsein, nicht sofort jedenfalls.
    „Asâêl!“, keuchte Thomasz. „Sein Name ist Asâêl.“
    „Wie kann ich ihn rufen?“
    „Du darfst ihm nichts tun!“
    Thomasz’ Aura war ein Gespinst schwarzer Verzweiflung. Carls Finger verkrallten sich in Gabriels Haar und zwangen seinen Kopf in den Nacken. Mit einem Ruck befreite Carl das Messer aus der Wunde. Gabriel spürte, wie sein Geist kippte. Er hatte Mühe, sich nicht fallen zu lassen, der verlockenden Einladung nicht nachzugeben und einfach fortzudriften. Die Klinge strich über seine Kehle. Carl sagte etwas, aber er hörte die Worte nicht.
    Thomasz schrie eine Antwort, auch die eine Serie von Worten, die keinen Sinn mehr ergaben. Gabriels Lider waren wie Blei. Warm tränkte Blut sein T-Shirt, lief ihm über die Brust und die Seiten.
    „... mein Vater.“
    Wer hatte das gesagt? Thomasz verströmte eine so abgründige Verzweiflung, dass die Welt alle Farben verlor. Gabriel sank der Kopf auf die Brust. Carl hatte sein Haar losgelassen. Es gelang ihm nicht länger, die Augen offen zu halten.
    „Ich weiß, dass du es kannst“, sagte Carl.
    Echos verzerrten die Stimme. Reflexionen im Spiegel. Leere.

    Zwei Stunden nach Mitternacht erreichten sie Baker, tankten den Wagen auf, tranken Kaffee im Stehen und fuhren weiter in Richtung Osten. Violet war müde, aber zugleich aufgewühlt. Ihr Geist fühlte sich an wie grobes Sandpapier. Das monotone Fahrgeräusch lullte sie ein. Sie schwiegen, denn niemand verspürte das Bedürfnis, eine Unterhaltung zu führen. Und doch hätte sie am liebsten geschrien, nur um ihre Stimme zu hören und sich zu vergewissern, dass das alles nicht einfach ein verrückter Albtraum war.
    Sie verließen den Freeway an der Cima Road. Keith schwang in die

Weitere Kostenlose Bücher