Engelsjagd - Gunschera, A: Engelsjagd
dass sie kaum ihre Hand vor Augen sehen konnte.
„Ich habe es euch gesagt, das wird nicht funktionieren.“
Der Blutgeruch machte sie schwindelig. Ihre Courage schwankte. Sie war nicht mehr sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was sich auf der anderen Seite des Kessels befand. Etwas klirrte wie Kettenglieder.
„Warte mal“, sagte der Mann.
Sie umrundete den Kessel zur Hälfte und wich einem Strang Wasserleitungen aus. Auf der anderen Seite malte eine Glühbirne einen glänzenden Fleck auf den Boden. Schwacher Schein fing sich auf den Strukturen der gegenüberliegenden Wand und hob schwarz und klobig den Rücken eines Mannes aus den Schatten. Sein Haar leuchtete rotblond im Licht. Zu ihrer Erleichterung trug er keine Maschinenpistole. Doch ihr stockte der Atem, als sie eine zweite Silhouette entdeckte, tiefer im Schatten und seltsam verdreht.
„Keine Ahnung, was mit ihm ist.“
„Carl hat gesagt, dass ...“ Der Rest des Satzes aus dem Funkgerät zerstob in atmosphärischem Rauschen. Es knackte ein paar Mal, dann riss die Stimme ab.
Der Rotblonde streckte einen Arm aus, eine Bewegung verwischte im Dunkel. Ein Keuchen entwich in den Raum, dann erkannte sie, dass er den Kopf eines anderen Mannes gepackt hielt, der mit den Armen an die Decke gefesselt war. Die hielten hier unten einen Gefangenen fest? Jedenfalls war das eine Gelegenheit, die sie vielleicht nicht wieder bekommen mochte. Der Kerl war abgelenkt, beide Hände beschäftigt.
Mit drei Schritten war sie hinter ihm und ließ den Griff ihrer Pistole mit aller Wucht auf seinen Hinterkopf niederkrachen. Das Funkgerät polterte auf den Beton. Einen Lidschlag später sackte der Mann zusammen. Gott sei Dank. Hastig durchsuchte sie ihn nach Waffen. Auf dem Boden glänzte klebrige Feuchtigkeit. Sie realisierte, dass es Blut sein musste und ein Teil von ihr wollte zurückzucken. Doch sie zwang sich zur Konzentration. Wenn die Jahre bei der Polizei sie eins gelehrt hatten, dann, den Fokus aufs Wesentliche zu richten. Zuerst musste sie sicherstellen, dass der Rotblonde keine Bedrohung mehr darstellte. Unter seiner Jacke entdeckte sie eine Pistole in einem Schulterhalfter und über seinem Fußknöchel ein Springmesser. Zuletzt schaltete sie das Funkgerät aus.
Hinter ihr klirrten leise die Kettenglieder. Sie sprang auf und drehte sich um, doch konnte nicht viel erkennen. Ein helles T-Shirt voller dunkler Schlieren, nackte Arme voller Blut. Nachträglich spülte der Schock über sie hinweg, als sie näher trat. Der Kopf war dem Gefangenen auf die Brust gesunken, die Beine an den Knien eingeknickt, sodass sein ganzes Gewicht auf den Armen lastete. Sie streckte eine Hand aus und tastete nach dem Puls des Mannes. Ein paar Haarsträhnen streiften ihren Handrücken. Er lebte, doch war nicht bei Bewusstsein. Ihr Blick wanderte zu den Handschellen, mit denen man ihn an ein Leitungsrohr gefesselt hatte. Es brauchte nicht viel Fantasie, diesen Heizungskeller in einen mittelalterlichen Folterkerker zu verwandeln. Oh Gott. Und sie hatte im Stillen Witze über die Inquisition gemacht.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass etwas nicht stimmte in Matavilya Crest, hing er direkt vor ihr. Wachen mit Maschinenpistolen und ein Gefangener, den man bis zur Besinnungslosigkeit gefoltert hatte.
Großer Gott, in was war Emily da hineingeraten?
Sie musste den Mann herunterholen. Doch zuerst wollte sie sicherstellen, dass der Rotblonde ihr nicht in die Quere kam. Zwischen Kisten voll Gerümpel fand sie Kabelbinder, mit denen sie den Kerl an Händen und Füßen fesselte. Sie knebelte ihn mit einem ölverschmierten Lappen und wandte sich zurück zum Gefangenen. Um an die Kette zwischen den Handschellen zu gelangen, musste sie sich strecken. Sie schrak zusammen, als er sich regte, ließ aber nicht von ihm ab. Die Kette war solider Stahl. Unmöglich, mit bloßen Händen etwas auszurichten.
Erneut bückte sie sich zum Rotblonden hinab und durchwühlte seine Taschen. Sie fand einen Schlüsselbund, doch der Schlüssel für die Handschellen war nicht dabei. Verdammt, ihr lief die Zeit davon. Was, wenn der Kerl mit der Maschinenpistole wieder auftauchte? Sie brauchte eine Zange oder einen Bolzenschneider. In den Regalen konnte sie nichts Brauchbares entdecken, deshalb stürzte sie zurück in den Korridor und durchstöberte die Abstellkammern, die sie zuvor passiert hatte. In einer Kiste mit Gartenwerkzeugen entdeckte sie endlich eine große Baumschere. Nicht ideal, aber besser,
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