Engelsleid (German Edition)
lächelte sie an. » Nichts weiter, nur Azaradeel. «
Sie räusperte sich. » Ich bin Beatrice. «
Wehmut erfasste Azaradeel, wenn er an die wunderbaren, sich daran anschließenden Monate zurückdachte. In den ersten W o chen hatte er Beatrice nicht verraten, wer er wirklich war. Es hatte ein paar Dinge gegeben, die sie irritiert hatten. Als Engel, der nicht von einer Mutter geboren, sondern aus Licht geschaffen worden war, fehlte ihm der Bauchnabel. Wieder und wieder übe r zeugte sie sich davon, dass seine Haut dort glatt und unversehrt war. Die Geschichte von der Nabelschnur, die bei der Geburt abgefallen und keinen Nabel hinterlassen hatte, nahm sie ihm großmütig ab. Um darüber ernsthaft nachzudenken , war sie viel zu verliebt.
Mit der Zeit wurde es jedoch immer anstrengender, seine wa h re Natur zu verbergen, vor allem seine Flügel für sie unsichtbar zu machen. Es wurde unvermeidlich, ihr die Wahrheit zu offenbaren, warum er oft unerreichbar war, warum er keiner geregelten Arbeit nachging, oder warum er nicht mit ihr zusammenziehen wollte, keine Adresse nannte.
Beatrice hatte ein sehr sensibles Wesen und akzeptierte seine Identität sehr schnell. Obwohl sie dieses Wissen mit niemandem teilen durfte, schien sie ein wenig stolz auf ihren Status als G e liebte eines Engels zu sein. Bis zu jenem Tag, an dem sie allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz schwanger wurde.
Azaradeel war sich nicht sicher, ob sie ihn hintergangen hatte und nicht mehr verhütet hatte , weil sie von einem Kind träumte, oder ob ihre Schwangerschaft purer Zufall war. Er wollte es auch gar nicht wissen, zu groß war ihre Freude darüber, von ihm ein Kind zu erwa r ten. Bis zum letzten A u genblick glaubte sie ihm nicht, dass er sie nun verlassen mü s se, um sie und das Kind vor Dämonen zu schützen, die es entführen wü r den, wenn sie ihm folgten und herausfänden, dass er ein Engelskind gezeugt ha t te.
Unschlüssig sah er der jungen Frau zu, wie sie die Haustür aufmachte und im Ei n gang verschwand. Wenig später wurde im dritten Stock des Mietshauses ein Fenster zum Lüften g e öffnet.
Nachdem Azaradeel sich vergewissert hatte, dass ihn niemand beobachtete, bezog er Posten auf dem Hausdach gegenüber. Die Aussicht war ideal. In der schräg gegenüberliegenden Wohnung lief die Frau seines Interesses hin und her, hantierte mal am Koc h topf auf dem Herd, verschwand dann kurz im Bad und im Schla f zimmer, wo sie die Vorhänge zugezogen hatte. In legerer Fre i zeitbekleidung kehrte sie in die Küche zurück, die roten Locken mit einem Haarband gebändigt.
Seine Geduld wurde bis kurz nach Mitternacht strapaziert, dann endlich erloschen die Lichter. Zwar hätte Azaradeel seine Gestalt verbergen und auch in Anwesenheit eines Menschen die Wohnung nach Beweisen durchsuchen können, aber ihm war wohler dabei, dies zu tun, wenn sie schlief. Er flog hinüber auf den kleinen Balkon mit dem alten schmiedeeisernen Geländer, drückte mühelos die Tür auf, und schlüpfte hinein. Die Wohnung bestand aus zwei unterschiedlich großen Zimmern, einem klein e ren Schlafraum sowie einer geräumigen Kombination von Woh n zimmer und Küche, dazu Bad und Flur. Alle Türen standen offen. Sein sensibles Gehör nahm die tiefen Atemzüge aus dem Schla f zimmer wahr.
Ruhig und konzentriert machte Azaradeel sich an die Arbeit. Schubladen, Schränke, Aktenordner, Fotoalbum – nichts entging seiner Aufmerksamkeit. Geräuschlos durchforstete er alles. Aber es war, als hätte diese Frau keine Herkunft. Die Ordner enthielten nur Abrechnungen des täglichen Lebens wie Gas und Strom, Arbeitsvertrag, Steuererklärung, und diese lauteten nicht auf Magdalena Winterle. Verdammt, sie sah Marion so äh n lich.
Verbissen suchte er nach weiteren Hinweisen über die Ident i tät. Keine Geburtsurkunde. Ähnlich verhielt es sich mit dem Fot o album. Kinderbilder, Klassenfoto mit Lehrer, Schulausflüge, Gruppenbild Studenten mit Professor. Darüber hinaus keine E r wachsenen, keine Eltern, keine Verwan d ten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie in nächster Zeit zu beobachten, und zugleich weiter zu suchen. Sollte er sich wirklich geirrt haben?
Unzufrieden verließ Azaradeel die Wohnung noch vor Morge n grauen.
17
Zwischen zwei Verehrern zerri s sen
Die Tage wollten nicht vergehen. Laura bewegte sich zwischen Internetrecherche und den üblichen Reiseführern, zwischen Büro und ihrer Wohnung hin und her. Jeden Tag rief Giuseppe minde s tens zweimal bei
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