Engelsleid (German Edition)
Verwüstung hinter sich herziehen. Warum also hätte ihr Kind das Opfer einer schweren Krankheit oder eines Unfalls werden so l len? Vielleicht war das alles nur eine Farce, nur ein Mittel der Unterdrückung, und es spielte überhaupt keine Rolle, wer sich wie verhielt. Leviathans Kinder waren dafür die lebe n den Beweise. Ihnen ging es gut, sie entwickelten sich alle präc h tig, wurden erfolgreiche Künstler, Anwälte oder Ärzte und wus s ten sogar um die Identität ihres Vaters.
Es hatte keinen Sinn, sich mit diesen Fragen zu quälen. So wie es gelaufen war, so war es nun mal. Es war nicht möglich, die Zeit zurückzudrehen. Nach vorne schauen.
Nervös sah er der jungen Frau hinterher, dann folgte er ihr u n auffällig, wie er einst ihrer Mutter nachgestiegen war. Falls sich ihre Familienbande bewahrheiten sollte n , blieb noch die Frage offen, wann und wie er sich ihr offenbaren würde. Wie sie forsch voranschritt, ihre Hüften bewegte, rief vor seinem inneren Auge ein Bild hervor.
Es war an einem ganz normalen Donnerstag passiert. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass dieser Tag interessant werden kön n te. Bereits am Morgen war es so warm und schwül, dass jegliche Akt i vität zur Herausforderung wurde. Die sonst flott zur Arbeit eilenden Pariser wirkten auf Azaradeel ein wenig träge. Gel a ngweilt saß er in einem Straßencafé im Quartier Latin, nippte an einem Cidre und beobachtete die Passanten. Da fiel sie ihm auf, wie sie in ihrem farbenfrohen Neckholderkleid den Gehweg en t lang näher kam. Bunte Kleckse auf halbtransparentem Weiß, tiefer V-Ausschnitt, unter dem Busen bis zum Bauchansatz eng anliegend gerafft . Mit jedem Schritt schmiegte sich der Stoff aufs Neue um ihre schla n ken, leicht gebräunten Unte r schenkel. Die nackten Füße mit den rot lackierten Nägeln steckten in blauen Riemchensandalen mit beängstigend schmalen Absä t zen. Ihre naturblonden Haare waren von sonnengebleichten Strähnchen durchzogen und in einer sog e nannten Banane am Hinterkopf festgesteckt. Ein paar schlichte Perlenohrringe, eine schmale go l dene Uhr, drei unterschiedlich farbige Armreifen waren der ganze Schmuck. Hingucker waren zweifelsfrei ihre Brüste, die wohlg e formt unter dem leichten Stoff im Takt ihrer Schritte wippten. Trotzdem Azaradeel Grundb e dürfnisse wie Hunger oder Durst nicht kannte, fühlte sich sein Mund auf einmal seltsam trocken an.
Als die Schönheit an ihm vorbeiging, riss er sich davon los, auf ihren Busen und die sich abzeichnenden Nippel zu schauen. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil eines Augenblick s . Ein Stro m schlag durchzuckte ihn. Es war lange, sehr lange her, dass er Ä hnl i ches empfunden hatte. Er kippte den Rest des Cidre s in einem Zug hinunter, legte das Geld neben das Glas und ging ihr nach.
Auch von hinten betrachtet , machte sie eine gute Figur. Ihr runder Po bewegte sich aufreizend bei jedem Schritt, woran der durch die hohen Absätze bedingte, wiegende Gang schuld war – und die Tatsache, dass ihr Po durch kein Kleidungsstück eing e engt war.
Was dachten sich diese modernen Frauen nur dabei, unter so l chen Kleidern einen String zu tragen? Genauso gut könnten sie ganz ohne Höschen aus dem Haus gehen. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie die meisten Männer ihr hinterhersahen. Was sie dabei dachten, war ihnen ins Gesicht geschrieben. Würden sie nicht in einer zivilisierten Gesellschaft leben, sondern wären wi l de Tiere, dann wären die Anzeichen der Brunst unverkennbar. Im Buhlen um die Gunst des attraktivsten Weibchens weit und breit würden sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Und da b e schwerten sich die Frauen, wenn man sie als reine Sexobjekte betrachtete. War es denn ein Wunder? Selbst ein Engel war nicht dagegen gefeit, dass sein Puls schneller schlug und sich seine Hose plötzlich eine Nummer zu klein gestaltete.
An der Metrostation angekommen , stieg sie vorsichtig die St u fen hinab und hängte sich ihre Tasche, die sie bisher locker in der Hand gehalten hatte, in die Armbeuge. Ihre Absätze klackerten bei jedem Schritt.
Die Stimmen in seinem Kopf ignorierend, folgte Azaradeel ihr. Seine Anspannung stieg im selben Maße, wie er Gedanken der Vernunft verdrängte.
Die Metro fuhr gerade ein, als sie den Bahnsteig erreichten. Die Frau versuchte , sich durch das Gedränge der Aussteigenden zu schieben, um an der nächsten Tür den Wagen zu betreten, als es geschah. Ein junger Mann mit Kapuzenshirt schlug ihr hart gegen den
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