Engelslicht
klar, grün und unglaublich traurig.
»Vertraust du mir?«, fragte er.
»Warum ist das denn jetzt so wichtig …«
Er riss die Augen auf und sie waren wild und erregt. »Jetzt ist alles wichtig. Jetzt ist Showtime, alle anderen Shows dienten nur zum Warmwerden. Und damit du das tun kannst, was du tun musst, darfst du mich nicht als Feind ansehen. Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich da eingelassen hast.«
»Wovon redest du?«
»Luce.« Es war Dees Stimme. Sie und Daniel standen am Eingang der Höhle. Dee war die Einzige, die lächelte. »Wir sind bereit für dich!«
»Mich?«
»Dich.«
Luce hatte plötzlich Angst. »Was muss ich tun?«
»Warum kommst du nicht her und siehst es dir an?«
Dee hatte die Hand ausgestreckt, doch Luce fiel es schwer, sich zu bewegen. Sie schaute zu Cam, aber er sah Daniel an. Daniel hatte den Blick noch immer auf sie gerichtet, und seine Augen brannten auf die hungrige Weise, wie immer, wenn er sie gleich in die Arme reißen und leidenschaftlich küssen würde. Aber er bewegte sich nicht und das verwandelte die zehn Schritte zwischen ihnen in zehntausend Meilen.
»Habe ich etwas Falsches getan?«, fragte sie.
»Du stehst in Begriff, etwas Wunderbares zu tun«, erwiderte Dee, die immer noch die Hand ausstreckte. »Lass uns keine Zeit verschwenden, die wir nicht haben.«
Luce nahm ihre Hand, und sie fühlte sich so kalt an, dass es ihr Angst machte. Sie musterte Dee, die bleicher, zerbrechlicher und älter aussah als in der Bibliothek in Wien. Aber irgendwie strahlte unter ihrer welken Haut und den hervortretenden Knochen immer noch etwas Helles und Überschäumendes aus ihr heraus.
»Sitzt meine Frisur nicht richtig, Liebes? Du starrst mich so an.«
»Doch, alles bestens«, antwortete Luce. »Es ist nur …«
»Meine Seele? Sie leuchtet, nicht wahr?«
Luce nickte.
»Gut.«
Cam und Daniel glitten schweigend aneinander vorbei. Cam schritt in die plötzlich wieder windige Wildnis hinaus, während Daniel hinter Luce trat, um die Laterne zu halten.
»Dee?« Luce drehte sich zu der Frau um, deren eisige Hand sie zu wärmen versuchte. »Ich will nicht hinausgehen. Ich habe Angst, und ich weiß nicht, warum.«
»Das ist so, wie es sein sollte. Aber dieser Kelch kann nicht an dir vorübergehen.«
»Kann mir bitte mal jemand sagen, was hier los ist?«
»Ja«, erwiderte Dee und zog Luce mit einem festen, aber helfenden Ruck vorwärts. »Sobald wir draußen sind.«
Als sie den wie eine Pfeilspitze geformten Fels umrundeten, der den Eingang zu der kleinen Höhle halb verbarg, fuhr der kalte Wind unversöhnlich in sie hinein. Luce taumelte zurück und hielt sich die freie Hand schützend gegen den plötzlichen Sandregen vor das Gesicht. Dee und Daniel drängten sie weiter an dem Pfad vorbei, den sie in der Nacht zuvor erklommen hatten, wo sie dem Wind am schutzlosesten ausgeliefert waren.
Luce stellte fest, dass die Hänge um das Plateau herum Barrieren gegen die kreiselnden, sandigen Windstöße bildeten und sie wieder sehen und hören ließen. Obwohl sie den täglichen Sandsturm hinter dem Plateau heulen hören konnte, wirkte alles innerhalb der gewölbten Felswände plötzlich unnatürlich still und klar.
Zwei Laternen leuchteten auf der Marmorplatte – eine vor dem Qayom Malak, eine hinter der silbernen Feder. Beide Lichter zogen Schwaden von Stechmücken an, die von den kleinen Glasscheiben abprallten, was Luce seltsamerweise beruhigte. Wenigstens war sie immer noch in einer Welt, in der Licht Ungeziefer anzog. Sie war immer noch in einer Welt, die sie kannte.
Die Laterne beleuchtete die beiden goldenen Engel, die sich im Gebet einander zuneigten. Ihr Licht traf auf die Ränder des schweren, rissigen Heiligenscheins, den Dee an seinen rechtmäßigen Platz gebracht hatte, gehalten von den Engelsflügeln.
An den steilen Hängen, die über dem Plateau aufragten, hockten die vier Outcasts auf Felsvorsprüngen, und jeder bleiche Krieger sah in eine andere Himmelsrichtung. Die Flügel der Outcasts, die sie angelegt hatten, waren kaum zu sehen, aber im Licht von Daniels Laterne schimmerten die Sternenpfeile in den silbernen Bögen auf, als erwarteten sie jeden Moment die Ankunft der Waage.
Die vier gefallenen Engel, die Luce so vertraut waren, saßen auf den steinernen Sitzen rund um die feierlich platzierten Reliquien: Arriane und Annabelle kerzengerade auf einer Seite, die Flügel verborgen, auf der anderen Seite Cam und Roland. Der Platz zwischen ihnen war frei.
War er
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