Engelslied
anderen in der makaberen Engelssammlung anzunageln, die sie in einem gut gekühlten Raum ihrer Festung aufbewahrte. »Museum des Todes« hatte sie diesen Raum genannt. »Sieh hier.«
Lijuans Zähne blitzten auf, als die Wahnsinnige erkannte, wessen Hand Raphael hielt. »Ich stimme deinen Bedingungen zu«, verkündete sie mit einem begehrlichen Glitzern in den Augen. »Aber nur, wenn du mir zuerst deine Gemahlin gibst. Ich möchte ihr den Hals brechen und eine wunderschöne Leiche für mein Museum aus ihr machen.«
Raphaels Zorn stieg ins Unermessliche, als Elenas Flügel den seinen streifte, weil seine Gemahlin nach oben flog, hin zu Lijuan.
Kontakt, Raphael, stimmt’s? Mehr brauchst du nicht, ja? Nimm mich als Leitung.
Nein! Am liebsten hätte er laut geschrien, als sich Lijuans Finger um Elenas Handgelenke schlossen, während seine Hand ihren Knöchel packte.
Vergib mir, Elena!
Ich werde auf dich warten.
Er wollte Elena nicht in Lijuans Händen sterben lassen! Er griff nach den flackernden Flammen, die in ihm und in seiner Gemahlin loderten, wollte beide entfachen … als etwas Graues in Elena hineinkrachte und sie dem Zugriff der Wahnsinnigen entriss.
Im selben Augenblick bohrten sich tausend Pfeile in Lijuans Leib.
Elena taumelte zurück, fiel, verhedderte sich mit ihren Flügeln in denen von Raphael. Raphael fing sie auf, brauchte aber mehrere Sekunden, um ihrer beider Schwung zu bremsen. Als er aufsah, entdeckte er eine heftig blutende Lijuan, die einen Pfeil der Graugeflügelten nach dem anderen einstecken musste. Von ihren Leuten konnte ihr keiner zur Hilfe kommen, denn die sahen sich selbst in ein Gefecht mit den Grauen verwickelt, wobei jetzt auf einen von Lijuans Leuten einer der Graugeflügelten kam.
Raphael überlegte nicht lange, welcher unerwartete Verbündete ihm diese seltsame Truppe geschickt haben mochte, sondern befahl seinen Leuten den Angriff. Er setzte sogar ein Minimum an Wildfeuer ein, um das Gift zu neutralisieren, mit dem Lijuan ihn getroffen hatte. Jetzt war er seinen Leuten lebendig nützlicher als tot, jetzt hatte sich das Blatt gewendet.
Keine Gnade!,
rief er.
Elena legte die Armbrust an, die sie keinen Moment hatte fallen lassen. Dort, wo Lijuan sie gepackt hatte, verunzierte ein Ring aus blutunterlaufenen blauen Flecken ihr Handgelenk. Aber in ihren Augen funkelte ein wildes Lächeln.
Wer immer uns diese Typen geschickt hat, wir sollten ihn verdammt noch mal zu einem Gott erklären!
Die Flecken an ihrem Handgelenk brachten Raphael erneut in Rage. Eiskalte Wut stieg in ihm auf, während er auf Lijuan feuerte, so gut er es konnte.
Erst einmal muss ich diesen Unrat hier wegräumen!
Keine Armbrust der Welt vermochte einen Erzengel zu töten, aber solange die Bolzen der Grauen auf Lijuan ebenso schnell eindonnerten, wie sie sie herausziehen konnte, war sie abgelenkt und musste ihre Energien auf das Heilen ihrer selbst richten. Die Knochen in ihrem Gesicht verschwanden, um gleich darauf wieder sichtbar zu werden, ihre Haut verblasste bis zur Unkenntlichkeit, tauchte aber dann wieder auf – zu keiner Zeit wechselte sie gänzlich hinüber in ihre nicht körperliche Form. Das erklärte Raphael einiges: Lijuan mochte neue Kraft dazugewonnen haben, indem sie sich das Leben anderer einverleibte, aber diese Kraft reichte nicht aus. Sie gestattete Lijuan keine Transformation, solange die blutigen Angriffe auf sie weitergingen.
Rasch schlang er eine Hand um ihren Knöchel, solange die Grauen sie ablenkten, schickte alle ihm noch verbliebene Kraft – Kraft, die das Leben selbst geküsst hatte, weil Elena am Leben war – durch seinen Arm hindurch in die Knochen seiner Gegnerin. Lijuans Schrei zerschlug den Himmel in tausend Stücke. Ihr Unterleib explodierte in einem grellen Lichtstrahl, ihr Oberleib zerfiel.
Ist die böse Hexe tot?
Ich bin nicht sicher.
Hatte er sie in letzter Sekunde die Gestalt wechseln sehen?
Aber selbst wenn sie diese Explosion überlebt haben sollte, dann doch nur mit erheblichen Verletzungen. Ihr Körper ist nicht mehr.
Lijuan würde Monate brauchen, um ihn wieder wachsen zu lassen, und obwohl sie allen hatte weismachen wollen, dass sie ihn gar nicht mehr brauchte, hatte die Schlacht eben das Gegenteil bewiesen. Und ob sie ihren Körper brauchte. Sie brauchte ihn sogar besonders dringend.
Selbst wenn sie sich im Prinzip an Lebenden nähren und so ihre Heilung beschleunigen konnte: Wie wollte sie das denn anstellen? So, wie sie vorhin gierig den Mund verzogen
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