Engelslied
Atmosphäre düsterer Sinnlichkeit noch zu unterstreichen.
Hier traf man sich bestimmt gern mal mit Freunden, um ein Glas Blut zu trinken – vielleicht auch eins von den teureren Sorten, die Elena auf einer der Speisekarten entdeckt hatte, die auf den mit schwarzem Glanzlack gestrichenen Tischen lagen.
Blut und Günstig
hatte für jeden Geschmack etwas zu bieten, dabei war das Angebot ganz auf die angestrebte Zielgruppe ausgerichtet: Man konnte reicheres Blut in verschiedenen Geschmacksrichtungen oder auch exotisch gewürztes bestellen, doch die einzelnen Portionen waren immer noch gut bezahlbar, da vergleichsweise klein. So konnte sich ein Pärchen bei einem Date gut mehrere Gläser und verschiedene Geschmacksrichtungen leisten, wenn sie sich die Portionen teilten. Trotzdem hatte das Angebot einen gewissen Schick, wodurch ein solches Date zu etwas Besonderem wurde.
Ein gut durchdachter, cleverer Geschäftsplan.
»Willkommen Ihr …« Die hübsche, von ihren Wurzeln her eindeutig lateinamerikanische Frau, die aus dem Büro kam, stellte Lächeln und Gesäusel ein, als sie erkannte, wer da ihr Café besuchte. Sie trug eine schwarze Hose, dazu eine eng sitzende Weste über einer langärmligen Bluse mit Spitzenbesatz an Hals und Handgelenken. Vor Elena verneigte sie sich tief. »Gemahlin. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Ihr Blick flackerte kurz zur Tür, die Illium gerade schloss, und als sie sich aufrichtete, erkannte Elena große Furcht in ihren Augen. Der Engel dieses Vampirs war nicht nett zu ihr gewesen. »Ich versichere Ihnen, ich habe meine hundert Jahre abgedient. Wenn Sie meine Entlassungspapiere sehen wollen …«
Beschwichtigend hob Elena die Hand – die Frau sollte sich nicht unnötig ängstigen. »Ich bin nicht hier, um dich mitzunehmen, aber du musst mir ein paar Fragen beantworten. Wie viel Blut habt ihr auf Lager?«
Die Vampirin hatte sich blitzschnell wieder gefangen. »Ich habe erst vor drei Monaten geöffnet, das Geschäft läuft noch auf niedrigem Budget. Mehr als zweihundert Flaschen habe ich im Moment nicht da.«
Irgendwo hinter dem schwarzen Vorhang war ein Klopfen zu hören. Die Cafébesitzerin warf einen hastigen Blick über ihre Schulter, konzentrierte sich aber gleich wieder auf Elena. Auf ihrer Stirn hatte sich Schweiß gebildet. »Da hinten ist der Eingang für Spender. Hier kommen in der Regel genügend Leute vorbei, um den Lagerbestand zu halten, aber ein tragfähiges Netz aus regelmäßigen Spendern habe ich noch nicht aufbauen können. Da kann es manchmal ganz schön knapp werden. Letzte Woche war ich auf zwanzig Flaschen runter, als Gott sei Dank eine Gruppe Studenten vorbeikam.« All das wurde in flottem Ton vorgetragen, als hoffte die Frau, so die befürchteten schlechten Neuigkeiten noch ein Weilchen hinauszögern zu können.
»Ich muss das Blut sehen.« Elena war es zuwider, eine legal lebende, hart arbeitende Vampirin derart in Angst und Schrecken zu versetzen.
»Natürlich!« Mit einem hastigen Nicken führte die Frau, die kleiner war als Elena, aber wesentlich mehr Kurven aufwies, ihre Besucherin zu den drei großen Kühlschränken in ihrem Büro. »Gibt es … gibt es ein Problem mit meinem Blut?« Mit zitternden Händen zupfte sie an der Spitze um ihre Handgelenke.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wenn du nun bitte hinausgehen würdest? Warte am besten draußen bei Illium.«
Kaum war die Vampirin gegangen, öffnete Elena schon die erste Flasche und schnupperte daran.
Kaltes Eisen, ein Hauch von Krankheit …
aber eine Krankheit, deren Geruch sie kannte, den sie schon einmal gerochen hatte.
»Krebs«, flüsterte sie und schraubte die Flasche wieder zu.
Die gesamten Vorräte durchzugehen nahm einige Stunden in Anspruch. Irgendwann entdeckte sie drei Flaschen mit dem pulsierenden Geruch nach Fäulnis, den sie mit den Vampirpocken verband, und ließ sie durch den Engel, den man ihr geschickt hatte, damit er Kurierdienste für sie erledigte, umgehend zu Keir schaffen, der in die Labors unter dem Turm zurückgekehrt war.
Nur bei diesen drei Flaschen läuteten bei Elena die Alarmglocken. Der Rest schien unverdorben.
Trotzdem durfte kein Blut aus diesem Lagerhaus mehr in Umlauf geraten. Die Besitzerin – Marcia Blue, wie Elena inzwischen erfahren hatte – wäre um ein Haar weinend zusammengebrochen, als sie das erfuhr. »Ich habe meine ganze Abfindung in dieses Geschäft gesteckt.« Verzweifelt schlang sie die Arme um ihre Brust. »Ich kann es mir
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