Engelslied
dass man es kaum wieder glatt bekommen würde. »Und wenn du dich das nächste Mal über meine Beschwerden beschwerst, werde ich dich an unsere heutige Unterhaltung erinnern!«
Woraufhin der Lautsprecher ein herzliches Lachen von sich gab. Das hörte man selten hier unten, Vivek war keiner, der gern und viel lachte. Endlich öffnete sich auch die letzte Tür und Elena durfte den Kern der unterirdischen Anlage ansteuern, wo Vivek Hof hielt und von wo aus seine Stahlhand sämtliche Aspekte des Lebens im Keller kontrollierte. Wobei das eigentlich sein Nebenberuf war – im Hauptberuf hielt er Ausschau nach allem, was Auswirkungen auf die Gilde und ihre Jäger haben könnte.
An diesem Tag ließ er sie in sein Heiligtum ein, ohne vorher noch weitere Spielchen von ihr zu verlangen. Und als sie eintrat, grinste er über das ganze Gesicht. »Du bist ja ziemlich gut drauf heute!«, begrüßte sie ihn.
»Ich hatte ja auch gerade heißen, schmutzigen Cybersex mit einer heißen italienischen Brünetten.« Vivek kicherte. »Ein Hoch auf alle internationalen Beziehungen, solange sie intim sind.«
»Stopp – so genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen.« Elena hatte sich einen Stuhl geschnappt, den sie umdrehte, um sich rittlings draufzusetzen, die Arme auf die Lehne gestützt. Vor ihrer Nase ragte der große, an der Wand befestigte Bildschirm auf, an dem sie gewöhnlich Scrabble spielten, darunter stand ein schicker Computer. Ähnliche Bildschirme und Computer waren über den ganzen Raum verteilt.
»Da lass ich dir extra einen Stuhl für Flügelträger bauen, und dann benutzt du ihn nicht mal«, beschwerte sich Vivek.
»Wag es bloß nicht, den Stuhl hier abzuschaffen. Das würde ich dir nie verzeihen.«
Vivek zauberte ihr Spiel auf den Bildschirm. »Ich denk drüber nach«, sagte er, immer noch grinsend. »Ich hoffe, du hast genügend Taschentücher dabei, denn heute wirst du heulen wie ein Baby, mein Schatz.«
Wie gut gelaunt er war! Vivek war oft sarkastisch, manchmal auch kurz angebunden, und oft schmollte er – aber glücklich? Richtig glücklich? Das war ungewöhnlich. Elena wünschte sich aus ganzem Herzen, das möge so bleiben. Auch nach dem, was sie ihm zu sagen hatte. Sie wollte ihn genauso glücklich zurücklassen, wie sie ihn vorgefunden hatte.
»Willst du anfangen?«, erkundigte er sich, nachdem der Computer beiden Buchstaben zugeteilt hatte.
Elena schüttelte den Kopf. Sie musste zur Sache kommen, jedes Zögern würde alles nur noch schwieriger machen. Sie legte ihre Hand auf die Armlehne von Viveks Rollstuhl, obwohl er die Berührung ja gar nicht spüren konnte. Neugierig geworden, sah er sie an. »Was ist, Ellie?«
»Ich muss dir jetzt eine Frage stellen.« Sie ließ den Rollstuhl los, um sich mit beiden Händen an der Rückenlehne ihres eigenen Stuhls festhalten zu können. »Gut möglich, dass du sauer wirst. Das würde mir leidtun, und du musst wissen, dass ich dir diese Frage nur stelle, weil ich dich gernhabe.«
Viveks Lächeln verblasste. Er drehte seinen Rollstuhl so, dass er Elena ansehen konnte. Wartend saß er da, ohne etwas zu sagen, und Elena hätte ihm am liebsten das zusammengeknüllte Stück Papier hingehalten, aber so ging das nicht, das wäre feige gewesen, der Freundschaft nicht wert, die sie beide verband. »Wenn du ein geeigneter Kandidat wärst«, sagte sie in das Schweigen hinein, das durch das Summen der vielen Computer nur noch verstärkt wurde, »würdest du ein Vampir werden wollen?«
Ein rasches Blinzeln, dann hatte sich Vivek wieder dem Spiel zugewandt. »Du bist dran.«
Elena baute irgendein Wort zusammen, das ihr wundersamerweise den dreifachen Wortwert eintrug. Reines Glück – normalerweise pflegte Vivek bei so etwas wütend zu knurren. Heute legte er schweigend ein Wort mit drei Buchstaben, das jeder Siebenjährige zustande gebracht hätte. Woraufhin Elena ihr Wort mit weiteren vier Buchstaben ergänzte, die dort wirklich nicht hingehörten. Das Ergebnis ergab keinen Sinn – spätestens jetzt würde Vivek doch wütend aufbegehren.
Aber er sagte weiterhin nichts.
Erst fünf Züge später ließ er sich wieder hören. »Diese Frage hättest du mir doch gar nicht gestellt, wenn du nicht längst wüsstest, dass ich ein geeigneter Kandidat bin.«
20
Elena nickte schweigend.
»Und wie hast du dir mein Blut verschafft? Für den Test, meine ich.« Vivek hob die Hand, ehe Elena antworten konnte. »Nein, sag nichts, ist schon klar: Routinegesundheitscheck der
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