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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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den Raum hinunter. Mit den Händen hielt er noch den Fensterrahmen umfasst, seine Füße hingen knapp über der Marmorplatte des Schminktischs.
    »Mach schon!«, rief Shelby. »Hilf Luce runter!«
    Miles ging schnell zur Tür, um abzusperren, und streckte dann die Arme aus, um Luce aufzufangen. Sie versuchte, es ihm nachzumachen und sich ebenfalls so geschmeidig hinunterzulassen wie er. Aber ihre Arme waren ganz zittrig, und sie fühlte sich unsicher, weil sie nicht viel sehen konnte. Dann spürte sie, wie Miles sie fest um die Taille packte, früher als sie erwartet hatte.
    »Du kannst loslassen«, sagte er und setzte sie danach sanft auf dem Boden ab. Seine Arme legten sich um ihren Oberkörper, nur ihr dünnes schwarzes T-Shirt war zwischen seinen Fingern und ihrer Haut. Auch als ihre Füße bereits den Boden berührten, hielt er sie einen Moment noch fest umschlungen. Luce wollte sich bei ihm bedanken, doch als sie ihm in die Augen blickte, brachte sie kein Wort heraus.
    Sie löste sich hastig aus seiner Umarmung, eine Entschuldigung murmelnd, weil sie ihm auf die Füße getreten war. Nervös standen Miles und Luce da und vermieden es, einander anzuschauen.
    Das hätte nicht passieren dürfen. Miles war nur ihr Freund.
    »Hallo! Hilft mir vielleicht jemand?« Shelbys Füße baumelten ungeduldig durch das Fenster. Miles stellte sich darunter, fasste Shelby erst am Gürtel und zog sie dann ganz herunter. Er ließ Shelby viel schneller los als sie, beobachtete Luce.
    Shelby schlitterte über die goldenen Bodenfliesen zur Tür. »Kommt schon, worauf wartet ihr eigentlich?«
    In dem Saal auf der anderen Seite stöckelten schwarz gekleidete, perfekt geschminkte Kellnerinnen in Highheels umher und balancierten Tabletts mit Cocktails auf den Händen. Männer in teuren Anzügen hatten sich um Blackjack-Tische versammelt, wo sie jedes Mal wie Teenager aufjubelten, wenn sie gewonnen hatten. Spielautomaten gab es keine und auch nicht die damit verbundene Geräuschkulisse. Die Atmosphäre war gedämpft, exklusiv, prickelnd – aber es war nicht, was sie im Verkünder gesehen hatten.
    Eine Kellnerin mit Häppchen auf ihren Tabletts näherte sich ihnen. »Kann ich Ihnen helfen?« Sie musterte die drei über die Gläser hinweg.
    »Oh, Kaviar«, rief Shelby, griff sich drei Blinis und reichte jedem eines. »Habt ihr den gleichen Gedanken wie ich?«
    Luce nickte. »Wir sind auf dem Weg nach unten.«

    Als die Aufzugtür sich schließlich zur grell erleuchteten Lobby des Casinos öffnete, musste Luce von Miles hinausgeschubst werden. Sie wusste, dass sie hier jetzt richtig waren. Die Kellnerinnen mit den Cocktails waren älter, wirkten müde und zeigten längst nicht so viel nackte Haut. Sie schwebten nicht über den abgetretenen orangefarbenen Teppich mit den vielen Flecken, sie humpelten. Und die Gäste sahen alle so aus wie die Runde um den Spieltisch, die der Verkünder gezeigt hatte: übergewichtig, nicht mehr in den besten Jahren, nicht mehr in den besten finanziellen Verhältnissen, deprimiert. Und sie zählten auch hier im Casino nicht zu den Gewinnern. Jetzt mussten sie nur noch Vera finden.
    Shelby manövrierte sie durch ein Labyrinth aus Spielautomaten, an den Menschentrauben um die Roulettetische vorbei, die den winzigen weißen Ball anfeuerten, der über das Rouletterad rollte; an großen, kastenförmigen Spielen vorbei, wo Leute auf Würfel pusteten, sie dann warfen und manche danach in die Hände klatschten; an einer langen Reihe von Tischen entlang, an denen Poker gespielt wurde und auch Spiele mit so seltsamen Namen wie Pai Gow; bis sie zu einer Anzahl von Blackjack-Tischen kamen.
    Die meisten Kartenausgeber waren Männer. Große, vornübergebeugte Männer mit pomadigen Haaren, bebrillte Männer mit grauen Schnurrbärten, einer trug sogar eine Mundschutzmaske. Shelby ging schnell an ihnen vorbei. Und dann, ganz hinten in der Ecke des Saals, fanden sie sie endlich: Vera.
    Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Ihr schmales blasses Gesicht wirkte müde. Luce war nicht wie in Shasta beim Anblick ihrer Eltern aus einem früheren Leben von mächtigen Gefühlen überwältigt, als sie jetzt vor Vera stand. Aber sie wusste ja auch noch nicht einmal, in welcher Beziehung sie zu ihr einmal gestanden hatte und wer diese Frau eigentlich war, die jetzt einer halb weggedösten rothaarigen Spielerin einen Stapel hinhielt, damit sie abhob. Nachlässig kam die Frau der Aufforderung nach, dann

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