Engelsmorgen
Düsternis eines noch dunkleren schwarzen Wirbels war.
»Sieht genauso aus, wie’s im Lehrbuch beschrieben wird«, sagte Miles sichtlich beeindruckt. »Aber alles, was ich zustande gebracht habe, war so ein komisch schräges Fenster.« Er lächelte Luce an. »Ein Wunder, dass es trotzdem funktioniert hat.«
»Halt dich an mich«, sagte Roland. »Dann wirst du in Zukunft stilvoll reisen.«
Arriane verdrehte die Augen. »Er ist so ein Angeber.«
Luce schielte spöttisch zu Arriane. »Aber hast du uns nicht erzählt, dass …«
»Ich weiß.« Arriane hob beschwichtigend die Hand. »Ich weiß, dass ich euch das alles vorgebetet habe, von wegen wie gefährlich es ist, durch einen Verkünder zu reisen. Und ich will echt nicht einer von den scheinheiligen Engeln sein, die das eine sagen und das andere tun. Aber wir waren uns alle einig – Francesca und Steven, Mr Cole, einfach alle –, dass …«
Alle? Luce tat sich schwer, das zu hören, ohne schmerzlich zu registrieren, dass Daniel nicht erwähnt worden war. Welche Rolle spielte er bei all dem?
»Außerdem ist einer der größten Meister unter uns.« Arriane lächelte. »Roland kann wirklich so gut wie kein anderer durch die Verkünder reisen.« Sie wandte sich zu Roland und flüsterte ihm zu: »Aber dass du dir das bloß nicht zu Kopf steigen lässt.«
Roland schwang die Tür des Verkünders auf. Sie ächzte und quietschte in den Angeln und öffnete sich auf einen feuchtkalten, gähnend leeren, finsteren Schlund.
»Hmmm … aber warum ist eigentlich das Reisen durch die Verkünder so gefährlich?«, fragte Miles.
Arriane machte eine ausholende Armbewegung, bei der sie quer durch das Zimmer zeigte: auf die Schatten unter der Schreibtischlampe, hinter Shelbys Yogamatte. Alle Schatten zitterten vor Erregung. »Ein untrainiertes Auge erkennt nicht, welcher Schatten sich dafür eignet. Und das kannst du mir glauben, es gibt immer jede Menge uneingeladene finstere Gesellen, die darauf lauern, dass jemand sie zufällig öffnet. Und dann Prost Mahlzeit!«
Luce dachte an den glitschigen schmutzig braunen Schatten, auf dem sie ausgerutscht war. Den sie nicht gerufen hatte. Der ihr Cam und Daniel am Strand gezeigt hatte, diesen albtraumhaften Anblick.
»Wenn man den falschen Verkünder erwischt, kann man sehr schnell verloren gehen«, erklärte Roland. »Dann hat man keine Ahnung, wohin – oder in welche Zeit – man reist. Aber wenn ihr euch ganz nah bei uns haltet, dann kann euch nichts passieren.«
Nervös deutete Luce auf den gähnenden Schlund des Verkünders. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass die beiden anderen Schatten, die sie durchschritten hatten, auch so trübe und düster ausgesehen hatten. Aber vielleicht war es ja auch nur, weil sie da noch nicht gewusst hatte, welche Folgen das haben konnte. »Und wir werden nicht auf einmal mitten in der Küche meiner Eltern auftauchen, oder? Weil meine Mutter sich nämlich von dem Schock nicht so schnell erholen würde.«
»Bitte, Luce.« Arriane schnalzte mit der Zunge und stellte erst Luce, danach Miles und dann Shelby in einer Reihe vor dem Verkünder auf. »Hab ein wenig Vertrauen.«
Es war, als würde man sich durch einen dunklen, feuchtkalten Nebel schieben, ein unangenehmes, klammes Gefühl. Er umhüllte Luce von Kopf bis Fuß, legte sich in feinen Tröpfchen auf ihre Haut und machte ihr das Atmen schwer. Ein unablässiges Rauschen war zu hören, wie von einem Wasserfall. Die beiden anderen Male, als Luce mithilfe eines Verkünders gereist war, hatte sie sich mal schwerfällig, mal hastig fortbewegt und war schließlich aus der Dunkelheit ins Helle katapultiert worden. Diesmal war es anders. Sie hatte vollkommen das Gespür dafür verloren, wo sie war und wie viel Zeit inzwischen vergangen sein mochte, ja sogar, wer sie war und wohin sie wollte.
Dann zog sie auf einmal eine starke Hand heraus.
Als Roland sie losließ, wurde aus dem rauschenden Wasserfall ein Tröpfeln, und Chlorgeruch füllte auf einmal ihre Nase. Ein Sprungbrett. Eines, das sie kannte. Unter einem hohen Gewölbe, in einem Raum mit bunten Glasfenstern. Die letzten Sonnenstrahlen schienen herein und warfen tanzende Farbprismen auf die Wellen des großen Schwimmbeckens. Entlang der Mauern brannten in Wandnischen Kerzen und verbreiteten ein schwaches, flackerndes Licht. Luce würde diese Kreuzung aus Kirche und Schwimmhalle nie vergessen.
»Oh mein Gott!«, flüsterte sie. »Wir sind in Sword & Cross.«
Arriane musterte den Raum
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