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Engelsmorgen

Engelsmorgen

Titel: Engelsmorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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sich über das Geländer und schaute zu Luce und Shelby herunter. Er wirkte viel bedrohlicher als normalerweise im Unterricht und ragte über ihnen so weit in den Himmel, als hätte er die doppelte Größe. Seine dunkelbraunen Augen blickten noch finsterer als sonst. Luce spürte das Feuer, das in ihnen brannte, und bekam es mit der Angst zu tun. Sogar der Verkünder in ihren Armen zitterte und verkroch sich.
    Die beiden Mädchen kreischten auf.
    Diese hohen Laute schienen den Schatten endgültig zu verstören. Er schlüpfte aus Luces Armen und glitt so schnell fort, dass sie keinen Zipfel mehr von ihm erwischte. Nur ein eiskalter Hauch blieb von ihm noch zurück und ein fauliger Geruch.
    Eine Glocke klingelte in einiger Entfernung. Luce merkte, wie alle anderen Schüler sich zum Mittagessen in Richtung Speisesaal aufmachten. Miles steckte den Kopf über die Brüstung und spähte zu Luce hinunter, aber ein Blick auf das zornentbrannte Gesicht von Steven genügte, dass er erschrocken die Augen aufriss und weiterging.
    »Komm bitte nach dem Unterricht in mein Büro, Luce«, sagte Steven. Was viel höflicher klang, als sie erwartet hätte.
    Als er die Hände vom Geländer nahm, war das Holz darunter verkohlt.

    Steven öffnete die Tür, noch bevor Luce geklopft hatte. Sein graues Hemd war leicht zerknittert und er hatte seine schwarze Krawatte gelockert. Aber er strahlte wieder dieselbe Gelassenheit aus wie immer. Luce begriff allmählich, wie schwer es einem Dämon fallen musste, immer die Fassung zu wahren. Ihr Lehrer putzte sich gerade mit einem Taschentuch, in das sein Monogramm gestickt war, die Brille. Er trat einen Schritt zur Seite.
    »Komm herein.«
    Das Büro war nicht groß, gerade breit genug für einen großen schwarzen Schreibtisch und lang genug für drei hohe Bücherregale, die mit Hunderten zerlesener Bücher vollgestopft waren. Es herrschte eine gemütliche, einladende Atmosphäre – Luce hatte sich das Büro eines Dämons ganz anders vorgestellt. In der Mitte des Raums lag ein Perserteppich und durch das große Fenster konnte man auf die Mammutbäume hinaussehen. Jetzt in der Abenddämmerung hatten die Baumriesen eine unwirkliche, beinahe lavendelblaue Färbung angenommen.
    Steven setzte sich auf einen der beiden rotbraunen Schreibtischstühle und deutete auf den anderen. Luce nahm Platz. Sie ließ ihren Blick über die vielen gerahmten Zeichnungen an der Wand schweifen. Wie Puzzlestücke fügten sie sich ineinander und bedeckten jeden freien Zentimeter. Meistens handelte es sich um Porträts, mal mehr, mal weniger detailliert ausgeführt. Ein paar Mal erkannte Luce Steven selbst. Außerdem hingen dort mehrere sehr schöne Skizzen von Francesca.
    Luce holte tief Luft. Sie wusste nicht recht, womit sie anfangen sollte. »Das mit dem Verkünder heute tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Ich wollte nicht, dass …«
    »Hast du irgendjemandem erzählt, was Dawn vor ein paar Tagen wirklich zugestoßen ist?«
    »Nein. Sie haben doch gesagt, ich soll das nicht tun.«
    »Auch nicht Shelby? Miles?«
    »Niemandem.«
    Steven dachte einen Moment nach. »Und warum hast du im Rettungsboot die Verkünder als Schatten bezeichnet?«
    »Ist mir nur so rausgerutscht. Als das vor langer Zeit bei mir angefangen hat, kamen sie immer aus einem Schatten heraus. Sie lösten sich daraus und kamen auf mich zu. Deshalb hab ich sie Schatten genannt. Damals wusste ich ja noch nicht Bescheid.« Luce zuckte mit den Schultern. »Eigentlich dumm von mir.«
    »Gar nicht so dumm.« Steven stand auf und trat an eines der Bücherregale. Er zog ein dickes Buch mit einem roten Einband heraus. Platon: Der Staat, konnte Luce darauf entziffern. Steven schlug das Buch auf, blätterte, bis er die Seite gefunden hatte, die er suchte, drehte das Buch dann um und schob es zu Luce.
    Eine Illustration war auf der Seite zu sehen. Sie zeigte eine Gruppe von Menschen in einer Höhle, die sich aneinander drängten und alle auf eine Wand starrten. Hinter ihnen brannte ein Feuer. Sie deuteten auf die Schatten, die von einer zweiten Gruppe von Menschen, die sich in ihrem Rücken befanden, an die Wand geworfen wurden. Unter dem Bild war zu lesen: Das Höhlengleichnis.
    »Was ist damit gemeint?«, fragte Luce. Von Platon wusste sie nur, dass er Schüler von Sokrates gewesen war, der aus einem Becher Gift getrunken hatte.
    »Das ist der Beweis, dass dein Name für die Verkünder klug gewählt ist.« Steven deutete auf die Illustration. »Du musst dir

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