Engelsmorgen
können. Egal was man dir erzählt. Egal was geschieht.«
»Aber ich brauche mehr, als von dir begehrt zu werden. Ich will mit dir zusammen sein, wirklich zusammen sein.«
»Bald. Das verspreche ich dir. All das dauert nicht mehr lange.«
»Ja, hast du schon gesagt.« Luce sah, dass der Mond über ihnen aufgegangen war. Leuchtend orange, wie ein stilles Feuer. »Worüber hast du denn mit mir reden wollen?«
Daniel steckte ihr eine blonde Strähne hinters Ohr zurück und musterte sie dann etwas zu lang. »Ach, nur über die Schule«, sagte er mit einem Zögern, das ihr verriet, dass er nicht ganz ehrlich war. »Ich habe Francesca gebeten, sich etwas um dich zu kümmern. Aber dann wollte ich mich lieber selbst vergewissern. Lernst du denn auch was? Kommst du gut zurecht?«
Plötzlich verspürte Luce das Bedürfnis, mit den Verkündern zu prahlen, ihm von dem Gespräch mit Steven über Platon zu erzählen, von den Momentaufnahmen ihrer früheren Eltern, die sie gesehen hatte. Aber sie tat es nicht. Daniels Gesicht wirkte so zugewandt und verletzlich, er schien sich so sehr zu bemühen, einen Streit mit ihr zu vermeiden.
Luce schloss kurz die Augen. Erzählte ihm dann, was er hören wollte. Der Unterricht war interessant. Danke, es ging ihr gut. Daniels Lippen berührten noch einmal ihre, nur kurz, aber es reichte, um ihren ganzen Körper kribbeln zu lassen.
»Ich muss jetzt los«, sagte er dann. »Ich hätte überhaupt nicht kommen dürfen, aber ich halte es nicht lange ohne dich aus. Ich denke dauernd an dich. Ich liebe dich, Luce. So sehr, dass es wehtut.«
Wieder schloss sie die Augen. Spürte den jähen Luftzug seines Flügelschlags und den aufgewirbelten Sand, den er bei seinem Abschied zurückließ.
Zehn
Neun Tage
Das Echo einer langen Abfolge von klappernden und klirrenden Geräuschen durchschnitt die pfeifenden Rufe der Fischadler. Eine lange, singende Note wie von Metall, das auf Metall kratzt, dann das helle Klingen einer schmalen Silberklinge, die das Schild des Gegners streifte.
Francesca und Steven kämpften erbittert.
Stimmte nicht ganz, sie traten in einem Fechtwettkampf gegeneinander an. Es handelte sich um eine Vorführung für die Schüler, die danach ebenfalls gegeneinander antreten sollten.
»Zu wissen, wie man ein Schwert schwingt – ob es sich nun um ein leichtes Florett handelt, wie wir sie heute gebrauchen, oder so etwas Gefährliches wie ein Entermesser –, ist für uns unverzichtbar«, sagte Steven und stach dabei mit der Spitze seines Säbels immer wieder zu, fuhr mit ihm in präzise gesetzten Bewegungen durch die Luft, als würde er Francesca aufschlitzen wollen. »Die Heerscharen von Himmel und Hölle treten nur selten in einer Schlacht gegeneinander an, aber wenn das geschieht …« Ohne dabei hinzusehen, ließ er die Klinge gegen Francesca vorschnellen, und ebenfalls ohne hinzusehen, hob sie ihren Säbel und parierte seine Attacke. »… geschieht es ohne moderne Kampfmittel. Degen, Dolche, Pfeil und Bogen, riesige Flammenschwerter, das sind für alle Ewigkeit unsere Waffen.«
Der Wettkampf, der nun folgte, war ein reines Schaustück, nur für den Unterricht gedacht. Francesca und Steven hatten nicht einmal Masken aufgesetzt.
Es war Mittwoch, spät am Vormittag, und Luce saß zwischen Jasmine und Miles auf der breiten Holzbank der Terrasse der Nephilim-Lodge. Die gesamte Klasse, einschließlich der Lehrer, hatte sich umgezogen und trug nun die weißen Anzüge, die Fechter immer anhaben. Die Hälfte der Schüler hielt außerdem eine Fechtmaske mit schwarzem Drahtgitter in der Hand. Luce war zu spät zum Materialschrank gekommen, gerade als jemand sich die letzte Maske geschnappt hatte, was ihr aber ziemlich egal war. Dadurch wuchsen hoffentlich ihre Chancen, sich nicht vor allen anderen blamieren zu müssen, weil sie überhaupt keine Ahnung vom Fechten hatte. Denn wie sie auf der Terrasse herumhüpften, schienen sie alle schon hinreichend Praxis zu haben.
»Ziel ist es, eurem Gegner so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten«, erklärte Francesca den Schülern, die sie umringten. »Verlagert also euer ganzes Gewicht auf das Standbein und schiebt euer Spielbein nach vorne, dann wippt ihr vor und zurück, immer in der Gefechtshaltung – und schließlich erfolgt der Angriff. So!«
Steven und sie waren auf einmal in eine schnelle Abfolge von Angriffen und Paraden verwickelt, begleitet vom Geklapper ihrer Säbel, während sie gegenseitig ihre Vorstöße abwehrten. Als
Weitere Kostenlose Bücher