Engelsmorgen
wirklich was sagen?« Schon im selben Augenblick bedauerte Luce, dass sie das gesagt hatte. Nun war klar, was folgen würde.
»Ich kann dir nicht sagen, was du wissen willst, wenn du mir nicht sagst, was dich stört.«
Das mit Shelby, dachte Luce. Aber wenn sie ihn jetzt spüren ließ, dass sie eifersüchtig war, würde er sie nur noch mehr wie ein Kind behandeln, und darauf hatte sie keine Lust. Deshalb sagte sie: »Ich fühle mich, als wären wir uns völlig fremd. Als würde ich dich nicht besser kennen als andere.«
»Oh.« Seine Stimme klang ruhig, und seine Miene war so stoisch, dass Luce ihn am liebsten geschüttelt hätte. Nichts regte ihn auf.
»Du hältst mich hier gefangen, Daniel. Ich darf nichts wissen. Ich kenne niemanden. Ich bin einsam. Jedes Mal wenn wir uns sehen, errichtest du eine neue Mauer und lässt mich nie wirklich an dich heran. Nie. Du hast mich bis hierher verschleppt …«
Luce hatte eigentlich nach Kalifornien hinzufügen wollen, aber es war mehr als nur das. Ihre Vergangenheit, so wenig sie auch davon wissen mochte, entrollte sich vor ihrem inneren Auge. Aber so, als würde man eine alte Rolle Film aus Versehen fallen lassen und hätte danach den Salat.
Daniel hatte sie noch viel, viel weiter als nur bis nach Kalifornien verschleppt. Jahrhunderte von Streitereien wie diese hier hatte sie mit ihm durchlitten. War unzählige Male leidvoll gestorben, was allen, die sie liebten, unsäglichen Schmerz verursachte – wie dem netten alten Ehepaar, das sie in der vergangenen Woche durchs Fenster beobachtet hatte. Daniel hatte das Leben dieser Menschen ruiniert. Ihre Tochter hatte sterben müssen. Alles, weil er so ein toller Engel war, der irgendetwas sah, das ihm gefiel, und es sich dann nahm.
Nein, er hatte sie nicht nur bis nach Kalifornien verschleppt. Er schleppte sie mit sich durch eine verfluchte Ewigkeit. Er bürdete ihr eine Last auf, die eigentlich nur er allein zu tragen hatte. »Ich muss für immer leiden – ich und mit mir alle, die mich lieben –, weil du verflucht worden bist. Für alle Ewigkeit. Es ist alles wegen dir.«
Daniel zuckte zusammen, als hätte sie ihn geprügelt. »Du willst nach Hause«, sagte er.
Luce trat wütend gegen den Felsen. »Ich will an den Anfang zurück. Ich will, dass du alles ungeschehen machst, was mich in diese verdammte Situation gebracht hat. Ich will einfach nur normal leben und sterben und wegen ganz normaler Dinge wie einem Toaster mit jemandem Schluss machen und nicht wegen irgendwelcher übernatürlicher Geheimnisse des Universums, in die du mich noch nicht mal einweihst.«
»War’s das?« Daniel war leichenblass geworden. Sein Körper hatte sich verkrampft und seine Hände zitterten. Sogar seine Schwingen, die vor wenigen Augenblicken noch so prächtig gewirkt hatten, sahen nun gebrechlich aus. Luce hätte am liebsten die Hand ausgestreckt und sie berührt. Als könnte sie dadurch erfahren, ob der Schmerz, den sie in seinen Augen sah, auch echt war. Aber sie tat es nicht. Sie gab nicht so schnell nach.
»Willst du mit mir Schluss machen?«, fragte er mit schwacher, leiser Stimme.
»Sind wir überhaupt zusammen, Daniel?«
Da sprang er plötzlich auf und fasste sie mit beiden Händen ums Gesicht. Sie wollte zurückweichen – und spürte bereits, wie die Hitze sie wieder durchströmte. Sie schloss die Augen, versuchte, der magnetischen Anziehungskraft seiner Berührung zu widerstehen. Aber das Gefühl war zu stark, stärker als alles andere.
Ihr Zorn war verflogen, ihre Wut ausgelöscht. Was war sie ohne ihn? Warum siegte die Macht, die sie zu Daniel hinzog, immer über alle Fliehkräfte? Verstand, Vernunft, Selbsterhaltungstrieb: Nichts von alledem übertrumpfte jemals ihre Liebe. Es musste Teil der Strafe sein, die Daniel auferlegt worden war, dass sie für immer an ihn gebunden war, als wäre sie eine Marionette in seinen Händen. Sie wusste, sie sollte ihn besser nicht mit jeder Faser ihres Herzens begehren. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste ihn anschauen, seine Berührung spüren – und der Rest der Welt versank um sie herum.
Sie wünschte sich nur, ihn zu lieben, wäre nicht immer so schwer.
»Was ist das für eine Geschichte mit diesem Toaster?«, flüsterte ihr Daniel ins Ohr. »Du wünschst dir einen Toaster?«
»Ich glaub, ich weiß nicht, was ich will.«
»Aber ich.« Er schaute sie an, blickte ihr tief in die Augen. »Ich will dich.«
»Weiß ich ja, aber …«
»Nichts wird daran jemals etwas ändern
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