Engelsmorgen
Problemkram belastet, wie seit Anbeginn der Zeiten und für alle Ewigkeit verdammt zu sein.
Etwas Weißes flitzte an Luce vorbei und geradewegs zu Miles.
Dawn. Sie stürzte sich geradezu in seine Arme, mit einem riesigen Lächeln im Gesicht. »Du bist am Leben!« Dawn schloss die Augen.
»Ich bin am Leben? Natürlich bin ich am Leben.« Miles setzte Dawn vor sich ab. »Ich bin noch nicht mal richtig außer Atem. Wie gut, dass du nie kommst und zuschaust, wenn wir Football spielen.«
Luce stand hinter Dawn. Ziemlich verlegen sah sie zu, wie Dawn Miles über die Stelle strich, wo Rolands Schwertspitze beinahe seine weiße Weste durchbohrt hatte. Hätte sie ihn selbst vielleicht auch gern … nein, nicht – oder doch? Luce war verwirrt. Sie wollte ja nur … sie wusste nicht, was sie wollte.
»Willst du gleich meine nehmen?« Roland stand auf einmal neben ihr und reichte ihr die Maske, die er soeben noch aufhatte. »Du bist doch als Nächste dran, oder?«
»Ich? Nein.« Luce schüttelte den Kopf. »Ist die Stunde nicht schon vorbei?«
Roland schüttelte den Kopf. »Versuch’s doch mal. Setz sie einfach auf, und keiner wird wissen, dass du noch nie einen Degen in der Hand hattest.«
»Bezweifel ich stark.« Luce fuhr mit den Fingern über das Drahtgitter. »Roland, ich muss dich was fragen …«
»Nein, ich wollte Miles gerade nicht durchbohren. Warum sind alle auf einmal so ausgeflippt?«
»Weiß ich doch …« Luce versuchte zu lächeln. »Es geht um Daniel.«
»Du kennst die Vorschriften, Luce.«
»Welche Vorschriften?«
»Ich kann dir alles Mögliche verschaffen, aber ich kann dir nicht Daniel verschaffen. Du musst da schon Geduld haben und abwarten.«
»Hey, Roland, warte noch mal. Ich weiß, dass er zurzeit nicht hier bei mir sein kann. Aber was für Vorschriften? Wovon redest du?«
Er machte ihr ein Zeichen. Francesca zeigte mit dem Finger auf sie. Die anderen Schüler hatten sich fast alle auf die Seitenbänke gesetzt, bis auf ein paar, die sich jetzt auf ihren Übungswettkampf vorbereiteten. Jasmine und ein koreanisches Mädchen namens Sylvia, zwei große, dünne Jungs, deren Namen Luce einfach nicht behalten konnte, und Lilith, die allein dastand und ausführlich die Gummispitze an ihrem Florett musterte.
»Luce?«, sagte Francesca ruhig und bestimmt. Sie deutete auf die freie Fläche vor Lilith. »Hierher. Nimm deinen Platz ein.«
Roland pfiff durch die Zähne. »Oh, gleich die Feuerprobe.« Er klopfte Luce auf die Schulter. »Dann mal furchtlos ins Getümmel!«
Nur noch fünf Schüler waren übrig geblieben. Alle anderen schauten zu, und Luce kam es vor, als wären Hunderte von Augenpaaren auf sie gerichtet.
Francesca stand mit verschränkten Armen da. Ihre Miene war heiter. Aber Luce fand, dass es sehr stark nach erzwungener Heiterkeit aussah. Vielleicht war ihr Plan ja, Luce aus irgendwelchen Gründen gleich in einen möglichst harten Zweikampf zu schicken und dort verlieren zu lassen. Warum hätte sie Luce sonst ausgerechnet gegen Lilith aufgestellt, die Luce um mindestens einen Kopf überragte und deren rote Haarpracht ihre Maske wie eine Löwenmähne umrahmte?
»Ich hab das noch nie gemacht«, sagte Luce verzagt.
»Schon in Ordnung, Luce. Es verlangt von dir auch keiner, dass du darin schon Training hast«, sagte Francesca. »Wir wollen jetzt erst mal austesten, wie groß deine Begabung dafür ist. Versuch, dich einfach daran zu erinnern, was Steven und ich euch am Anfang dieser Stunde gezeigt haben. Das reicht für den Anfang.«
Lilith lachte und zeichnete mit ihrem Florett ein großes Z in die Luft. »Das Zeichen der Verlierer«, sagte sie. »Zero, einfach Null.«
»Ist das die Anzahl der Freunde, die du hast?«, fragte Luce. Sie erinnerte sich daran, was Roland zu ihr gesagt hatte. Dass sie keine Furcht zeigen sollte. Sie ließ die Maske über ihr Gesicht gleiten und griff nach dem Degen, den Francesca ihr reichte. Luce wusste nicht einmal, wie sie ihn halten sollte. Sie nahm unsicher den Griff, unschlüssig, ob sie mit der rechten oder linken Hand fechten sollte. Beim Schreiben war sie zwar Rechtshänderin, aber Kegeln oder Baseballspielen, das machte sie alles mit der Linken.
Lilith sah sie bereits an, als wünschte sie Luce den Tod, und Luce wusste, dass sie nicht genug Zeit haben würde, um ihren Schlag mit der einen und mit der anderen Hand auszuprobieren. Sagte man beim Fechten überhaupt Schlag? Wahrscheinlich nicht.
Francesca stellte sich wortlos hinter Luce,
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