Engelsmorgen
umfasste sie von hinten und nahm Luces linke Hand – und mit ihr das Schwert – in ihre eigene linke Hand.
»Ich bin Linkshänderin«, sagte sie.
Luce öffnete den Mund, unsicher, ob sie protestieren sollte oder nicht.
»Genau wie du.« Francesca beugte sich über Luces Schulter und zwinkerte ihr zu. Als sie danach noch einmal Luces Hand in ihre nahm, strömte plötzlich etwas Warmes und unglaublich Tröstendes durch Luce. Stärke, vielleicht auch Mut – Luce begriff nicht, wie es funktionierte, aber sie war Francesca sehr dankbar dafür.
»Am besten, du packst den Griff nicht zu fest«, sagte Francesca, während sie Luces Finger um den Griff legte. »Wenn du ihn nämlich zu fest umfasst, kannst du die Klinge nicht mehr so beweglich führen und bist auch in deinen Defensivbewegungen eingeschränkt. Umfasst du ihn aber zu locker, dann kann er dir aus der Hand geschlagen werden.«
Ihre weichen, schlanken Finger führten Luces Hand in genau die richtige Position unter der Glocke. Mit einer Hand dort und die andere auf Luces Schulter gelegt, machte Francesca mit ihr einen schnellen Schritt zurück, hielt dann mitten in der Bewegung an.
»Und jetzt vorwärts!« Sie bewegte sich mit Luce nach vorne und stieß das Florett in Liliths Richtung.
Lilith fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und starrte Luce kampfeslustig an.
»Und Ausgangsposition.« Francesca bewegte Luce zurück, als wäre sie eine Schachfigur. Dann löste sie sich von ihr, stellte sich vor sie, blickte sie noch einmal aufmunternd an und flüsterte ihr zu: »Alles andere ist Beiwerk und Zierde.«
Luce schluckte. Klang nach viel Bildung.
»En garde!«, rief in diesem Moment Lilith. Sie machte einen Ausfallschritt und richtete ihren rechten Arm mit dem Florett geradewegs auf Luce.
Luce vollführte eine Ausweichbewegung, zwei hastige Schritte zurück; als sie sich dann in sicherer Distanz fühlte, sprang sie auf einmal mit ausgestrecktem Florett nach vorne.
Lilith wich geschickt nach links aus, zog sich dann ebenfalls zurück, holte aus und griff an. Luce konnte diesmal parieren, die beiden Klingen kreuzten sich und Luce und Lilith hielten mit aller Kraft gegeneinander. Luce musste all ihre Kraft aufbieten, um Liliths Druck standzuhalten. Ihr Arm zitterte, aber überrascht stellte sie fest, dass sie keinen Millimeter zur Seite wich. Schließlich zog Lilith ihre Klinge fort und zog sich zurück. Luce beobachtete sie, wie sie die Waffe senkte und sich ein paar Mal um sich selbst drehte. Sie fing an, ihre Gegnerin aufmerksam zu studieren.
Lilith stöhnte ständig laut auf, alle ihre Bewegungen begleitete sie mit viel Geräusch. Aber das war auch ein Ablenkungsmanöver. Sie machte viel Lärm und täuschte in einer Richtung einen Angriff vor, beschrieb dann jedoch mit ihrem Arm einen großen Bogen und versuchte damit, Luces Verteidigung auszutricksen.
Da beschloss Luce, es ihr gleichzutun. Als sie mit der Spitze ihres Floretts herumfuhr, um ihren ersten Punkt zu machen – ein Treffer knapp unter dem Herz ihrer Gegnerin –, schrie Lilith laut auf.
Luce zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte nicht den Eindruck gehabt, Lilith besonders heftig berührt zu haben. »Alles in Ordnung?«, rief sie und wollte schon ihre Maske hochklappen.
»Sie ist nicht verletzt«, antwortete Francesca an Liliths Stelle. Ihre Lippen öffneten sich zu einem Lächeln. »Sie ist wütend, dass sie dich nicht einfach vom Platz fegen kann.«
Luce hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum Francesca plötzlich so guter Laune zu sein schien, denn Lilith stürmte mit weit vorgestrecktem Florett bereits wieder auf sie zu. Luce hob blitzschnell die Waffe, um sie abzuwehren. Drei Mal klirrten ihre Klingen gegeneinander, bevor sie voneinander abließen.
Luces Herz schlug schnell und sie fühlte sich richtig gut. Sie spürte eine Energie in ihren Adern pulsieren wie schon lange nicht mehr. Sie war richtig klasse im Fechten, fast so gut wie Lilith, die aussah, als wäre sie zu nichts anderem geboren, als Leute mit scharfen Gegenständen aufzuspießen. Luce hatte noch nie einen Degen, ein Schwert, was auch immer, in der Hand gehabt. Aber sie merkte, dass sie tatsächlich gewinnen konnte. Der Sieg lag in Reichweite. Nur noch ein Punkt.
Die anderen Schüler folgten begeistert dem Zweikampf, ein paar riefen sogar ihren Namen. Sie konnte die Stimme von Miles heraushören, und sie glaubte, auch die Stimme von Shelby zu hören, was sie natürlich anfeuerte. Doch in das Geräusch der
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