Engelsnacht
freundliche Namen für die Schule, aber die erspar ich dir lieber.«
Luce lachte.
»Ich wollte damit nur sagen, dass nicht alle hier komplette Idioten sind.«
»Nur die meisten?«, fragte Luce. Sie hatte nicht so negativ klingen wollen, aber der Vormittag war lang gewesen und sie hatte schon so viel durchgemacht und vielleicht nahm ihr dieses Mädchen nicht übel, wenn sie ein wenig sarkastisch war.
Wider Erwarten lächelte sie. »Ganz genau. Und sie bringen den Rest von uns in Verruf, das kann ich dir sagen.« Sie streckte die Hand aus. »Ich bin Pennyweather Van Syckle-Lockwood. Nenn mich einfach Penn.«
»Okay«, sagte Luce, viel zu erschöpft und durcheinander, um beim Namen des Mädchens loszukichern, wie sie es in
ihrem früheren Leben bestimmt getan hätte. Pennyweather Van Syckle-Lockwood klang wie einem Roman von Charles Dickens entsprungen. Einem Mädchen mit einem solchen Namen, das es fertigbrachte, sich vorzustellen, ohne eine Miene zu verziehen, musste man einfach vertrauen. »Ich bin Lucinda Price.«
»Und alle nennen dich Luce«, sagte Penn. »Und du kommst von der Dover Highschool in New Hampshire.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Luce überrascht.
»Gut geraten, was?«, meinte Penn achselzuckend. »War nur Spaß, ich hab deinen Anmeldebogen gelesen. Ist so was wie ein Hobby von mir.«
Luce starrte sie an. Vielleicht war sie mit ihrem positiven Urteil doch zu voreilig gewesen. Wie war Penn an ihren Anmeldebogen gelangt?
Penn drehte den Wasserhahn auf. Als warmes Wasser kam, machte sie Luce ein Zeichen, den Kopf darunterzuhalten.
»Das ist nämlich folgendermaßen«, erklärte sie. »Ich bin nicht verrückt.« Sie zog Luce an den nassen Haaren hoch. »Keine einzige Straftat.« Sie drückte den Kopf wieder nach unten. »Ich bin die einzige Jugendliche hier an der Schule ohne Gerichtsbeschluss. Und du hast bis jetzt vielleicht noch nie darüber nachgedacht, aber ganz offiziell nicht verrückt zu sein, hat große Vorteile. Zum Beispiel halten sie nur mich für vertrauenswürdig genug, um Hilfsarbeiten im Schulbüro zu verrichten. Was nicht besonders schlau von ihnen ist. Auf diese Weise habe ich Zugang zu einer Menge vertraulicher Informationen.«
»Aber wenn du nicht hier sein musst -«
»Wenn dein Vater der Gärtner ist, dann darfst du kostenlos die Schule besuchen, und deshalb …« Penn führte den Satz nicht zu Ende.
Penns Vater war der Gärtner? Luce wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass es hier überhaupt einen Gärtner gab, so wie es auf dem Schulgelände aussah.
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagte Penn, während sie Luce dabei half, die letzten Soßenreste aus dem Haar zu waschen. »Dass die Rasenflächen und alles drumherum ganz schön verwahrlost sind. Hab ich recht?«
»Nein«, log Luce. Sie wollte sich unbedingt die Zuneigung dieses Mädchens erhalten. Ihr deutlich Ich-möchtedeine-Freundin-sein zu signalisieren, war ihr wichtiger, als den Eindruck zu erwecken, es würde sie auch nur im Geringsten interessieren, wie oft der Rasen in der Sword & Cross gemäht wurde. »Ich finde es hier, ähm, eigentlich ganz hübsch.«
»Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben«, sagte Penn leise. »Sie haben es dann geschafft, mir den alten Schulleiter Udell als gesetzlichen Vormund vor die Nase zu setzen, aber einen Ersatz für Dad als Gärtner haben sie nicht gefunden.«
»Tut mir leid«, flüsterte Luce. Also gab es hier noch jemand, der wusste, was es hieß, einen schweren Verlust verkraften zu müssen.
»Schon in Ordnung«, sagte Penn. »Ist eine wirklich gute Schule. Ich fühle mich richtig wohl.« Sie quetschte sich etwas Pflegespülung auf die Hand.
Luces Kopf schoss hoch, sie verspritzte im ganzen Raum Wasser. »Und du bist ganz sicher nicht verrückt?«, fragte sie.
»War nur Spaß. Ich hasse es hier. Das nervt alles total.«
»Aber trotzdem willst du nicht von hier weg?« Luce hielt den Kopf schräg und blickte neugierig.
Penn biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß, das klingt jetzt etwas seltsam. Aber selbst wenn das mit Udell nicht
wäre, könnte ich nicht fort. Mein Dad liegt da drüben.« Sie deutete in Richtung Friedhof, wie Luce vermutete. »Er ist alles, was ich habe.«
»Dann hast du vielleicht mehr als so manch andere an dieser Schule«, sagte Luce, die an Arriane dachte. Sie erinnerte sich daran, wie Arriane heute auf dem Schulhof nach ihrer Hand gegriffen hatte, sie erinnerte sich an den flehenden Blick in ihren blauen Augen, als sie Luce
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