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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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gegeben. Er wollte gerade nachgeben und sie in die Arme nehmen, als er den merkwürdigen Blick in ihren Augen bemerkte. Als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.
    Und dann wich sie vor ihm zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
    »Mir ist so seltsam«, flüsterte sie.
    Nein, nein - war es tatsächlich schon zu spät?
    Ihre halbgeschlossenen Augen nahmen die Form an, die er ihnen auf seiner Zeichnung gegeben hatte. Sie näherte sich ihm wieder, beide Hände auf die Brust gelegt, die Lippen erwartungsvoll geöffnet. »Vielleicht halten Sie mich jetzt für verrückt, aber ich könnte schwören, das alles schon einmal erlebt zu haben.«
    Es war zu spät. Er blickte auf. Ihn schauderte, denn er spürte, wie die Finsternis sich über sie beide herabsenkte. Hastig legte er ein letztes und einziges Mal die Arme um sie, umarmte sie so fest, wie er das seit Wochen ersehnt hatte.

    Sobald ihre Lippen sich auf seine legten, waren sie beide machtlos. Der honigsüße Geschmack ihres Mundes verwirrte und betäubte ihn. Je stärker sie ihren Körper gegen seinen presste, desto heftiger wogte die Erregung und breitete sich gleichzeitig eine Lähmung in ihm aus. Ihre Zunge berührte seine Zunge, und das Feuer zwischen ihnen brannte mit jeder neuen Geste, jeder neuen Berührung heller, heißer und mächtiger. Doch das alles war ihm schon vertraut und bekannt.
    Der Raum erbebte. Um sie herum erglühte ein heller Schein.
    Sie bemerkte nichts davon, nahm nichts wahr, wusste nichts, spürte nichts als den Kuss.
    Die Schatten wirbelten jetzt direkt über ihren Köpfen. So nahe, dass er mit der Hand danach hätte greifen können. So nahe, dass er sich fragte, ob sie wohl verstand, was sie flüsterten. Die Finsternis legte sich langsam über ihr Gesicht. Er bemerkte ihr Erstaunen, sah in ihren Augen plötzlich die Erkenntnis aufblitzen.
    Dann war nichts mehr. Nichts.

Eins
    Vollkommen Fremde

    Zehn Minuten zu spät. Luce stürzte in die neonweiß beleuchtete Eingangshalle der Sword & Cross Schule. Ein Schrank von einem Menschen, mit kurzen Haaren, rotem Gesicht und einem Klemmbrett, das unter den mächtigen Bizeps geschoben war, erteilte Befehle - was bedeutete, dass ihre Abwesenheit schon aufgefallen war.
    »Und denkt immer daran! Hier an unserer Schule gilt: Pillen, Zellen, Rotlicht!«, bellte eine raue Stimme drei Schüler an, die mit dem Rücken zu Luce standen. »Haltet euch an die Regeln und niemandem passiert was.«
    Luce schlüpfte schnell hinter die kleine Gruppe. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Stapel Anmeldeformulare auch wirklich richtig ausgefüllt hatte; ob die kahl rasierte Person vor ihr eigentlich ein Mann oder eine Frau war; ob irgendwer ihr mit der schweren, großen Reisetasche helfen würde; ob ihre Eltern, die sie hierhergebracht hatten, ihr heiß geliebtes Auto, ihren Plymouth Fury, nicht sofort verkaufen würden, sobald sie wieder zu Hause waren. Sie hatten bereits den ganzen Sommer lang damit gedroht und jetzt verfügten sie über einen weiteren Grund, gegen den Luce nicht mehr ankam: An Luces neuer Schule war es nämlich nicht erlaubt, ein Auto zu haben. Ohne Ausnahme. Vielleicht sollte man
ergänzen, dass es sich bei ihrer neuen Schule um eine sogenannte Besserungsanstalt handelte.
    Luce hatte sich an die Bezeichnung immer noch nicht gewöhnt.
    »Könnten Sie, ähm, könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen?«, fragte sie. »Wie war das mit dem Medcenter -?«
    »Na, was hat der Wind denn da zu uns hereingeblasen?«, sagte die Person mit dem kahl rasierten Schädel. Um dann langsam und deutlich fortzufahren: »Medcenter. Wenn du eine der Schülerinnen bist, die regelmäßig Medikamente nehmen, dann kriegst du dort, was du brauchst, um dich aufzumuntern, ruhiger zu werden, deine Atembeschwerden zu lindern, was auch immer.« Eine Frau, entschied Luce. Kein Mann würde es fertigbringen, das alles gleichzeitig so böse und so zuckersüß zu sagen.
    »Ich hab’s kapiert.« Luce drehte sich fast der Magen um. »Medcenter.«
    Sie nahm jetzt schon seit Jahren keine Medikamente mehr. Nach dem Vorfall im vergangenen Sommer hatte Dr. Sanford, ihr Spezialist in Hopkinton - und der Grund, weshalb ihre Eltern sie bis nach New Hampshire in ein Internat geschickt hatten -,sie wieder auf Tabletten setzen wollen. Sie hatte ihn schließlich davon überzeugen können, dass ihr Zustand stabil war, doch es hatte sie einen ganzen Monat Therapiestunden gekostet, nur

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