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Engelsnacht

Engelsnacht

Titel: Engelsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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Der Regen war weich und warm und verführerisch, und sie küssten sich weiter.
    Luce legte die Arme um Daniels Oberkörper, um ihn noch fester an sich zu pressen. Ihre Hände glitten über etwas, das sich samtig und federweich anfühlte. Sie strich mit den Fingern darüber, einmal, noch einmal, vorsichtig tastend, dann hielt sie im Küssen einen Augenblick inne und schaute in Daniels Augen.
    Es wuchs und entfaltete sich.
    Flügel. In allen Regenbogenfarben schillernde, leuchtende Schwingen, die leicht und anmutig schlugen. Sie glänzten vom Regen. Wie mühelos ihre Bewegung wirkte. Sie hatte das schon einmal gesehen, erinnerte sie sich, oder vielleicht auch nur etwas, das ihnen glich.
    »Daniel«, rief Luce atemlos. Sie konnte den Blick nicht
davon wenden. Die Flügel wirbelten in allen Farben der Welt um sie herum, dass ihr der Kopf davon schmerzte. Sie suchte mit den Augen nach einem Halt, aber da waren nur noch das glühende Rot des Sonnenuntergangs und das dunkler werdenden Blau des Abendhimmels. Dann sah sie nach unten.
    Der Boden unter ihren Füßen.
    Unendlich tief unter ihr.

    Als Luce die Augen öffnete, war das Licht schmerzlich grell, sie musste husten und hatte rasende Kopfschmerzen, sodass sie glaubte, der Schädel müsse ihr zerspringen. Der Himmel war verschwunden. Und Daniel auch.
    Ein weiterer Traum, sonst nichts.
    Nur dass sie aus diesem mit einer solchen Sehnsucht erwachte, dass ihr die Rückkehr in die Wirklichkeit unerträglich war.
    Sie lag in einem Zimmer mit weißen Wänden. Auf einem Krankenhausbett. Links neben ihr war ein dünner Vorhang weit in den Raum vorgezogen, dahinter bewegte sich raschelnd etwas. Stimmen waren zu hören.
    Luce berührte vorsichtig ihren Hals, die zarte Stelle zwischen den Schlüsselbeinen, und wimmerte.
    Sie versuchte, sich mit sich selbst und in ihrer Umgebung zurechtzufinden. Sie wusste nicht, wo sich dieses Krankenhausbett befand, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie nicht mehr in der Sword & Cross war. Ihr weites weißes Nachthemd - sie tastete an ihrem Körper danach - musste ebenfalls aus dem Krankenhaus stammen. Luce spürte, wie der Traum ihr entglitt - alles, bis auf die Flügel. Sie waren so wirklich gewesen. Wie sie sich angefühlt hatten, so samtig
und glatt. In ihr krampfte sich alles zusammen. Sie ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder, umklammerte die Leere, ließ wieder los. Die Leere war ihr unerträglich.
    Jemand griff nach ihrer rechten Hand und drückte sie. Luce drehte den Kopf und zuckte zusammen. Sie hatte geglaubt, sie sei allein. Gabbe saß auf einem Stuhl mit verblichenem blauen Stoffbezug neben ihrem Bett. Ein Blau, das die gleiche Farbe wie ihre Augen hatte.
    Luce wollte ihre Hand wegziehen - zumindest glaubte sie, es zu wollen -, aber dann lächelte Gabbe sie mit einem so warmherzigen Lächeln an, dass Luce sich bei ihr irgendwie beschützt und geborgen fühlte. Sie merkte, dass sie froh war, jetzt nicht allein zu sein.
    »War das alles nur ein Traum?«, murmelte sie.
    Gabbe lachte. Sie hatte auf dem Tischchen neben sich eine Cremedose stehen und begann, Luce die weiße Creme mit dem Zitronenduft ins Nagelbett einzumassieren. »Kommt drauf an«, sagte sie. »Nichts gegen Träume, aber gegen das Gefühl, dass einem die Welt aus den Fugen gerät, hilft nichts besser als eine Maniküre. Wirkt bei mir immer, du wirst schon sehen.«
    Luce blickte auf ihre Hand. Sie hatte noch nie viel für solche Dinge übrig gehabt, aber sie musste jetzt daran denken, dass auch ihre Mutter ihr immer vorgeschlagen hatte, doch mal zur Maniküre gehen, wenn sie richtig schlecht drauf gewesen war. Gabbe fuhr unterdessen fort, sanft ihre Finger zu massieren. Luce fragte sich, ob sie womöglich jahrelang im Koma gelegen hatte.
    »Wo bin ich?«
    »Im Lullwater Hospital.«
    Das Krankenhaus lag nur fünf Minuten von ihren Eltern entfernt. Das letzte Mal, als sie hier gewesen war, hatten ihr
die Ärzte eine Platzwunde am Ellenbogen genäht, weil sie vom Fahrrad gefallen war. Ihr Vater war nicht von ihrer Seite gewichen. Jetzt war er nirgends zu sehen.
    »Und wie lang bin ich schon hier?«, fragte sie.
    Gabbe sah auf die Wanduhr mit dem großen weißen Ziffernblatt und sagte: »Sie haben dich gestern Abend nach elf hierher gebracht, du warst ohnmächtig, wahrscheinlich von dem Rauch. Wenn ein Schüler in der Sword & Cross bewusstlos aufgefunden wird, rufen sie automatisch den Krankenwagen, das ist Vorschrift. Aber mach dir nicht zu viele Sorgen.

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