Engelspakt: Thriller (German Edition)
eigenen Sterbens entworfen und sich ausgemalt, wie sein Kopf eines Tages am Pult auf einen der großen Folianten sinken würde, während er mehr oder weniger sanft entschlief. Sein schlimmster Alptraum war, lebendig begraben zu werden. Dabei war diese Angst nicht nur eine Phobie, sondern hatte durchaus einen berechtigten Hintergrund. Einzig seine kluge Haushälterin wusste, was zu tun war, wenn es einmal so weit war. Mariella war der einzige Mensch auf der Welt, mit dem Martini sein kleines Geheimnis teilte. Nicht einmal der alte Antonio, der sein Leben nun schon seit einigen Jahrzehnten begleitete, hatte auch nur den Hauch einer Ahnung davon.
»Robert, altes Haus. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.«
Mercatis schritt leicht angeheitert auf ihn zu. Offensichtlich hatte er den Wein schon geraume Zeit vor dem Essen auftischen lassen. Sobald der Jubilar ein paar Schlucke intus hatte, zog er Martini liebend gern mit seinem englischen Vornamen auf. Zumal Martini tatsächlich zur Hälfte Brite war und noch dazu einige Jahre in England und Neuengland als Dozent gelebt hatte.
»Antonio, alter Freund. Herzlichen Glückwunsch. Wie könnte ich je auch nur einen deiner Geburtstage vergessen!«
Sie umarmten sich auf die herzlich-römische Art, an die Martini sich in all den Jahren nie wirklich hatte gewöhnen können. Nur bei einem guten Freund wie Antonio konnte er diese Art von körperlicher Nähe überhaupt ertragen.
Antonio führte ihn zum Tisch, wo Martini den Stuhl gleich neben seinem Freund zugewiesen bekam. Der frisch pensionierte Kardinalbibliothekar schien seinem Arbeitsleben keine Träne nachzuweinen, doch Martini wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Der Kellner bot Martini sogleich einen der Weine an, ließ ihn kosten und schenkte ihm, nachdem er seine Zustimmung eingeholt hatte, schließlich ein. Martini blickte in die Runde. Wie es aussah, hatten auch die übrigen Geburtstagsgäste bereits mehr als ein Glas Wein getrunken. Zum ersten Mal erlebte Martini auf einer Feier seines Freundes Antonio die Gäste schon so zeitig angeheitert. Als hätten Antonios Freunde auf seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag und seine Pensionierung gleich doppelt angestoßen.
»Hast du schon das Neueste gehört?«, flüsterte Antonio ihm zu.
»Wie sollte ich? In dieser Stadt passiert ständig etwas Neues, so dass selbst das Neueste nach zehn Sekunden schon wieder veraltet ist. Außerdem war ich auf dem Weg zu dir.«
»Du solltest hin und wieder auch mal etwas anderes studieren als deine alten Bücher, Robert. Dein Freund Ciban hatte heute Nacht einen schweren Autounfall und liegt in der Gemelli-Klinik.«
Das war in der Tat eine Nachricht, die nicht so schnell veralten würde. »Dann feiern deine Gäste also Cibans Autounfall?«
Antonio winkte mit einem säuerlichen Grinsen ab. »Ach, wo denkst du hin.«
»Wie schwer ist er verletzt?«
»Ziemlich schwer. Aber er wird durchkommen.«
»Wie hast du davon erfahren?«
»Durch Zufall. Doktor Asensi ist mein Arzt. Ich war heute früh im Krankenhaus, als er zu einem Notfall gerufen wurde. Der Notfall war Ciban.«
Martini biss sich auf die Lippen. »Wenn er stirbt …«
»Er wird nicht sterben. Jedenfalls nicht jetzt.«
»Glaubst du an den … Autounfall?«
Antonio schüttelte den Kopf. »Nicht mit dem neuen Wagen, den Ciban seit einigen Wochen besitzt. Er fährt einen gepanzerten Audi mit schusssicheren Autoreifen. Weder Handgranaten noch Sprengsätze könnten diesem Wagen oder seinen Insassen etwas anhaben. Du kannst dir sicher vorstellen, wer die Unfallgeschichte in die Welt gesetzt und die Wahrheit dahinter vertuscht hat.«
Martini erwiderte nichts. Es war klar, dass der Vatikan einen möglichen Anschlag auf den Präfekten der Glaubenskongregation nicht an die große Glocke hängen würde. Erst recht würde der Vatikan den wahren Grund verschleiern, sollte etwas anderes als ein gewöhnlicher Autounfall hinter Cibans Krankenhausaufenthalt stecken.
»Was denkst du, Antonio?«
»Denken? Ich denke gar nichts, Robert. Ich bin vom heutigen Tag an in Pension. Aber du«, Antonio deutete mit dem Blick hinaus auf das nie schlafende Rom, »solltest Augen und Ohren offen halten. Die meisten halten dich zwar für einen alten Spinner, aber es gibt auch Leute wie Gasperetti, die jetzt umso mehr ein Auge auf dich haben werden. Sosehr Ciban deine Arbeit auch behindert hat, indem er dir den Zugang zu den Archiven verwehrte, so hat er dir dennoch, wenn auch unfreiwillig, als
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