Engelspakt: Thriller (German Edition)
einzutauchen, die die geistige Welt mit der materiellen verband. Sie musste die Kluft zwischen Diesseits und Jenseits überbrücken, auch wenn es unmöglich erschien. Darius hatte ihr, als sie noch ein Kind war, einmal erklärt, dass die Schöpfung ein energetisches Netzwerk war, das ein jedes mit jedem verband. Alles, was sich in der materiellen Welt manifestierte, war Abbild und Ausdruck dieser unsichtbaren Welt. Catherine musste die Kraft erreichen, die im Großen wie im Kleinen alles zusammenhielt und an die selbst ein Physiker wie Max Planck fest geglaubt hatte.
Wenn Cibans Seele noch in der Nähe war, konnte sie es vielleicht schaffen und ihn zurückholen. Sie dachte an ihre Einweihung und daran, was Kardinal Benelli sie ein Jahr zuvor gelehrt hatte. Sie dachte daran, dass Jesus Lieblingsjünger Johannes es vollbracht hatte, einen toten Priester ins Leben zurückzuholen. Warum sollte ihr das nach ihrer Einweihung nicht auch gelingen? Immerhin ging es hier nur um Minuten, nicht um Tage.
Schließlich tauchte sie in die Schatten ein, in jenes Ödland, das man das Zwischenreich nannte. Ein schwarzer Wind, mehr eine schwarze, ungehaltene Welle umfing sie und signalisierte, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Obwohl Catherine nicht das Geringste sah, schien sie auf einem gewaltigen Berg zu stehen. Es toste, und dennoch herrschte zugleich absolute Stille. So wie die Helligkeit voller Dunkelheit war.
Catherine gab keinen Laut von sich. Sie suchte, doch wie es schien, an einem verlassenen Ort, der so blind, so taub, ja so unendlich leer war, dass sich hier weder Licht noch Finsternis halten konnte. An diesem unsäglichen Ort schien es ihr, als wäre eine Ewigkeit seit Cibans Tod verstrichen. Eine unglaubliche Furcht durchströmte sie, aber eher würde der Berg, auf dem sie stand, zugrunde gehen und einstürzen, als dass sie umkehrte. Jedes einzelne Quäntchen Energie, das sie in dieser Ödnis finden konnte, nahm sie in sich auf. Von irgendwoher ertönte ein Bass wie von einer großen Orgel und erschütterte den ganzen Berg. Wie eine Ankündigung. Wie eine Drohung. Sie hatte hier nichts zu suchen. Das war ihr klar, doch sie würde auch nicht umkehren. Dafür war es längst zu spät.
Plötzlich schwebte etwas über ihr. Sie spürte die Flügel einer mächtigen Aura, als überlegte dieses Etwas, ob es sich auf dem Berg neben ihr niederlassen sollte. Aber es war nicht die Seele Cibans. Es war etwas anderes. Ein Wesen, das sich aus einem unsäglich schrecklichen Ort zu ihr emporgewunden hatte, um zu sehen, wer die Ruhe dieses Ortes störte.
Catherines Herz schlug wie im Wahn. Dieses Wesen hatte hier genauso wenig zu suchen wie sie. Aber ihre Furcht, ihre Hoffnung, ihre intensiven Gefühle hatten dieses Wesen wie einen Magnet angezogen. Nun war es hier.
Das Wesen sah sie an, ohne sie anzublicken. Dabei horchte es, als spräche jemand zu ihm. Tatsächlich spürte Catherine nun eine weitere Präsenz. Darius? Benelli? Oder gar Sarah? Sie hörte nicht einmal den Hauch einer Stimme. Aber dann nickte das Wesen und flüsterte immer wieder dieselbe Litanei, bis die Worte endlich zu Catherines Bewusstsein durchdrangen, wie ein Gebet, wie ein ungeschriebenes Naturgesetz.
»Die Liebe sagt immer die Wahrheit. Die Liebe sagt immer die Wahrheit. Die Liebe sagt immer die Wahrheit …«
In diesem Moment spürte Catherine ein Zucken in ihrer Hand, ein Pulsieren, das ihr auf einen Schlag sämtliche Energie entzog und sie durch die Pforte, durch die sie gekommen war, wie von einem unsichtbaren Band gezogen zurückschleuderte.
Für einen Moment befand sie sich wieder in dem Krankenzimmer an Cibans Bett und verlor jeden Halt unter den Füßen.
Lieber Gott, bitte hilf mir!
Als sie zusammenbrach, streifte ihr Blick den der Krankenschwester, die völlig verblüfft in der Tür stand. Hinter ihr zwei Männer, von denen einer Coelho war. Gleichzeitig spürte sie diesen Schatten, der wie eine schwarze Feuersbrunst über sie hinwegstrich, ohne sie zu verletzen. Wie vom Blitz getroffen lag sie ausgestreckt und völlig unbeweglich auf dem Boden. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sie atmete nicht mehr.
»Um Gottes willen!«, rief die Krankenschwester, und ihre Stimme verklang so unendlich rasch.
88.
Catherine konnte sich nicht erinnern, jemals das Gefühl gehabt zu haben, aus dem Nichts wieder aufgetaucht zu sein. Aber genau diese Beschreibung traf es am besten. Sie war aus dem Nichts aufgetaucht, aus einem endlosen Nichts ohne jede
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