Engelsrache: Thriller
gezeigt, dass ich nichts erreicht hatte. Der Typ hatte keine Angst vor mir. Entweder er hasste mich so sehr, dass für Angst kein Raum mehr blieb, vielleicht war er aber auch zu verrückt, um eines solchen Gefühls überhaupt fähig zu sein. Als ich das Zittern wieder halbwegs unter Kontrolle gebracht hatte, sah ich mich selbst im Rückspiegel an.
»Caroline hat völlig recht«, sagte ich laut. »Du bist ja genauso verrückt wie Tester.«
23. Juni
9:20 Uhr
Agent Landers hatte heftiges Kopfweh, sein Rücken und seine Schultern taten ihm weh. Die kleine College-Studentin, die er sich am Vorabend gekrallt hatte, war offenbar sportlicher gewesen, als er gedacht hatte. Nicht dass er sich allzu genau an sie erinnern konnte. Kein Wunder – nach einer halben Flasche Jim Beam.
Landers saß an seinem Schreibtisch. Er hatte die Kiste mit den Beweismitteln vor sich, die er und seine Kollegen gegen Angel Christian zusammengetragen hatten. Nachmittags war er mit Joe Dillard verabredet, der als Angels Rechtsbeistand legitimiert war, die Beweismittel in Augenschein zu nehmen. Landers wollte Dillard nicht in dessen Büro aufsuchen, und Dillard wollte ebenso wenig in die TBI-Dienststelle kommen, also hatten sie vereinbart, dass sie sich in einem Besprechungszimmer im Gericht treffen wollten.
Aus Landers’ Sicht war die Beweislage etwas dürftig. Trotzdem hatte Deacon Baker Anklage gegen Angel erhoben, obwohl er so gut wie nichts gegen sie in der Hand hatte. Dabei hatte er sich schlicht von der Hoffnung leiten lassen, dass Angel entweder ein Geständnis ablegen oder Erlene Barlowe beschuldigen würde. Doch sie hatte weder das eine noch das andere getan, und jetzt war ausgerechnet auch noch Joe Dillard ihr Anwalt. Dillard war zwar ein Oberarsch, aber wie man ein Verfahren dreht, das wusste er ganz genau. Landers wiederum wusste, dass die Staatsanwaltschaft keine guten Karten hatte. Aber viel schlimmer war: Die Verhandlung sollte am vierundzwanzigsten Juli stattfinden, also wenige Wochen vor den Wahlen, denen sich Baker im August zu stellen hatte. Sollte Deacon den Prozess verlieren, konnte es ihm – Landers – also durchaus passieren, dass er am Tag nach der Wahl auf der Straße stand.
Was aus Deacon wurde, war Landers völlig egal. Aber er war lange genug dabei, um zu wissen, dass am Ende stets die Kleinen schuld sind. Falls der Prozess verloren wurde, würde Deacon natürlich als Erstes einen Sündenbock suchen. Und da Landers die Ermittlungen geleitet hatte, würde ihn folgerichtig Deacons ganzer Zorn treffen. Deacon würde jedem unter die Nase reiben, dass Landers alles vergeigt, dass Landers schlampig gearbeitet oder sogar dass Landers ihn – Deacon – bequatscht hatte, Angel ohne stichhaltige Beweise anzuklagen. Sollte es so weit kommen, konnte Landers sich auch gleich die Hoffnung abschminken, seinen Chef zu beerben, der demnächst in Pension ging.
Landers betrachtete gerade das Foto, auf dem Angel mit einem Bluterguss im Gesicht zu sehen war, als die Sprechanlage knackte und sich seine Sekretärin meldete.
»Ich habe hier einen Mann in der Leitung, der Ihnen angeblich etwas Wichtiges in der Mordsache Tester mitzuteilen hat«, sagte sie.
Landers drückte auf den Knopf.
»Mit wem spreche ich?«
»Mein Name ist Virgil Watterson. Ich habe etwas gesehen, was Sie vielleicht interessiert.«
»Und was?«
»Es geht – nun ja – um dieses Körperteil, das vor einiger Zeit in der Nähe von Picken’s Bridge aufgetaucht ist.«
Wieder so ein Irrer, ein Perverser, der über den verdammten Pimmel des ermordeten Predigers quatschen wollte.
»Ja und? Was haben Sie dazu zu sagen?«
»In der Nacht, als der Mord passiert ist, bin ich über die Brücke gefahren, ungefähr gegen ein Uhr. Oben auf der Brücke hat ein Auto gehalten. Neben dem Auto stand eine Frau am Geländer. Ich hatte den Eindruck, dass sie was ins Wasser wirft.«
Was für eine Scheiße. Wenn der Kerl was gesehen hatte, wieso hatte er sich dann nicht früher gemeldet?
»Haben Sie die Frau deutlich gesehen?«
»Ja, habe ich. Sie ist gerade wieder zu ihrem Wagen auf der anderen Fahrbahnseite gegangen. Deshalb konnte ich sie im Scheinwerferlicht ziemlich gut erkennen. Eine Frau mittleren Alters mit einer tigergemusterten Jacke und der engsten Hose, die ich je gesehen habe. Ihr Haar war leuchtend rot.«
Erlene Barlowe. Das konnte nur sie gewesen sein. Landers fing an, sich Notizen zu machen. »Würden Sie die Frau wiedererkennen?«
»Vermutlich
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