Engelsstern
seelenlos, aber auch teuflisch intelligent. Die anderen standen um ihn herum und warteten auf ein Zeichen. Sie musterten mich schweigend. Claire hatte mal gesagt, dass Ryans Intellekt auf sie abfärben würde. Bis jetzt hatte ich dem keinen Glauben geschenkt. Sein Blick drang in mein tiefstes Inneres. Er las in meiner Seele wie in einem offenen Buch, während den anderen allmählich langweilig wurde. Offensichtlich waren sie nicht in der Lage, andere Menschen so zu durchschauen wie er. Ich bekam fast einen Herzschlag, als Ryan endlich den Mund aufmachte.
»Teagan, geh doch einfach nach Hause.«
»W enn sie den Weg findet.« Sage schnaubte verächtlich.
»Claire will ihre Zeit offenbar lieber mit ihren richtigen Freunden verbringen«, fügte Emily hinzu.
Ryans Worte trafen mich mehr als die der anderen beiden. Ich wurde weggeschickt. Ohne Claire. Aber ich konnte ihm nicht länger in die Augen sehen. Ich zitterte am ganzen Körper.
Langsam sah ich einer nach der anderen ins Gesicht, suchte nach einem Ausweg – nach irgendeiner Lösung. Am Ende blieb mein Blick an Lauren hängen. Sie war noch nicht lange in der Gruppe, vielleicht war sie deshalb das schwächste Glied? Honigblonde Locken umrahmten ihr Gesicht, und ihre blauen Augen erwiderten meinen Blick. Ja! Es gab eine Verbindung. Schweigend flehte ich sie um Hilfe an und hoffte, Brynn und Ryan würden nichts mitbekommen.
»Sollte Claire das nicht selber entscheiden?«, fragte ich leise, an Lauren gewandt.
Kaum waren die Worte ausgesprochen, verlosch das verständnisvolle Flackern in Laurens Augen auch schon wieder. Die Verbindung war abgerissen. Vor Angst wurde mir schummrig, vielleicht lag das auch an dem Wummern der Musik, jedenfalls konnte ich kaum noch geradeaus gucken.
Langsam und bedächtig sah ich mir ein Gesicht nach dem anderen an. Alle standen stocksteif da und starrten mich an, während ich vor ihnen zitterte. Mein Atem hing als Wolke vor meinem Gesicht, löste sich dann auf.
Nur. Mein. Atem.
Ich sah alle genau an. Atmeten die überhaupt?
Sage …
Emily …
Abrupt drehte ich mich zu Brynn und Ryan um.
Als mein Blick auf Claire fiel, erstickte ich fast an meinen unterdrückten Tränen. Dieses Mal lag es nicht am Halbdunkel im Auto. Ich konnte alles klar erkennen.
»Claire? Bitte, lass uns zurückfahren«, flüsterte ich. Meine Stimme war heiser vor Verzweiflung.
Claires schönes Gesicht war ganz Ryan zugewandt, und ich sah, wie sich Brynns Finger fester um Claires Arm schlossen, womit die Entscheidung gefallen war.Ohne ein weiteres Wort drehten sie sich um und marschierten mit Claire im Schlepptau auf die Schlange zu. Ich bekam kaum mit, dass Lauren zurückblieb. Sie fing meinen Blick auf und warf mir eine Kusshand zu. Schwach war im Dunkeln ihr Atem zu sehen, dann drehte sie sich um und lief zu den anderen.
In mir tobte ein Gefühlssturm. Ich versuchte, mich wieder in den Griff zu kriegen, da knackte hinter mir ein Zweig. Ich schrie auf. Da stand Garreth und sah unglaublich erleichtert aus. Ich warf mich ihm an den Hals, vergrub das Gesicht in seiner umwerfend warmen Haut und atmete tief seinen Geruch ein. Ich drückte mich ganz fest an ihn, noch nie hatte ich so ein Bedürfnis nach Wärme gehabt.
»Claire. Sie ist mit denen mitgegangen. Ich glaube, sie steckt in Schwierigkeiten«, brach es aus mir heraus.
Angst und Wut brodelten gleichermaßen in mir, ich überlegte, ob es möglich wäre, Claire zu folgen und sie im Auge zu behalten, ohne entdeckt zu werden. Aber im Geiste sah ich immer nur Ryans schwarze Augen. Garreth führte mich mit warmem Griff von der Lichtung weg.
»Lass sie gehen, Teagan. Sie hat sich entschieden«, sagte Garreth leise.
Aber das konnte ich nicht. Ich war nahe dran, die Stufen hochzurennen, meine Freundin zu schnappen und sie nach Hause zu bringen. Gleichzeitig wollte ich nur noch weg, so unheimlich war alles. Gedanken und Wut bildeten einen Teufelskreis und drehten sich in meinemKopf wie junge Hunde um sich selbst. Die Entscheidung wurde mir abgenommen, als ich sah, wie die Gruppe mit der Masse aus Musik und Menschen verschmolz.
Garreth nahm meine Hand und zog mich mit unter das schützende Dach der Bäume. Ich drehte mich noch einmal nach meiner Freundin um, die ich hier zurücklassen musste, aber sie war verschwunden. Alle schienen gewusst zu haben, dass Claire heute Abend unsere Freundschaft verraten würde, denn in Wahrheit war ich diejenige, die verlassen wurde.
Warum fühlte ich mich dann so
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