Engelsstern
Federn an, aber das Weiß schmolz auf meiner warmen Haut. Es schneite. Weiße Flocken fielen durch das riesige Loch im Dach, wo einst der Turm gestanden hatte, und vertrieben die Dunkelheit. Ich wurde müde und wollte mich hinlegenund träumen, aber die weichen Flocken kitzelten auf meiner Haut und hielten mich wach. Hinter mir waren Schritte zu hören, ich drehte mich um – Hadrian war verschwunden. Angstvoll sah ich mich um, was war mit ihm geschehen, was war mit Garreth geschehen, aber der schneebedeckte weiße Boden war leer. Ich war allein.
Schritte näherten sich, und ich bemerkte einen gewölbten Tunnel, der von einem warmen Leuchten erfüllt war, das größer wurde und mit dem Besucher näher kam. Mein Herz schlug wild in der Hoffnung, dass es Garreth wäre, aber als das Wesen die Überreste der Steinkammer betrat, wurde ich enttäuscht. Hatte Hadrian doch die Wahrheit gesagt?
Vor mir stand ein Schutzengel, uralt und majestätisch, seine weißen Flügel waren golden gefärbt und seitlich angelegt. Mit einer Geste forderte er mich auf, nach rechts zu schauen. Die Reste der Steinwand lösten sich vor meinen Augen wie durch Zauberhand auf, ich blickte auf ein Meer aus dicht an dicht stehenden Engeln, deren vielfarbige Flügel wie eine Wolke aus Farben wirkten.
Der Engel sprach mit heiserer Stimme voller Weisheit. »Das sind Tausende von Schutzengeln, einer für jeden Menschen, manchmal auch zwei oder mehr. Du hast das Außerordentliche vollbracht. Du hast den Fortbestand unserer Gesellschaft gesichert, und damit hast du den ersten Schritt getan, um die Art zu retten, zu der du selbst gehörst. Die Schutzengel sind frei, aber der Schaden, den Hadrian angerichtet hat, kann nicht ungeschehen gemacht werden, bis die Menschen ihre Schutzengelwiederhaben wollen . Erst dann ist das Gleichgewicht der Welten wiederhergestellt.«
Seine hellblauen Augen schimmerten fast weiß. Nicht in dem unheimlichen, kreidigen Weiß, das ich bei Brynn and Claire gesehen hatte, sondern wie das Weiß in einem endlosen Himmel aus Blau. Diese Augen hatten schon viel gesehen. Es war eine Ehre, dass sie jetzt auf mein verwirrtes Gesicht blickten.
»Aber wie soll sich ein Mensch seinen Schutzengel zurückwünschen, wenn er nicht mal weiß, dass er weg ist?«
»Du bist ein Beispiel für das, was möglich ist. Die Stimme der Vernunft ist nicht nur die Stimme eines Schutzengels. Sie ist auch deine eigene. Du kannst sehr stolz auf dich sein. Ich spreche im Namen aller Schutzengel, du hast Großes vollbracht.«
»Darf ich eine Frage stellen?«, sagte ich schüchtern.
»Bitte, ich heiße Mathur, du kannst mich alles fragen.«
»Ich bin hier, weil ich jemanden suche. Ist er …? Ich muss wissen, ob er …« Ich verlor allmählich die Fassung. Wenn ich jetzt seinen Namen sagen würde, wäre sie komplett weg.
»Es geht ihm gut. Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Du wirst ihn bald sehen«, beruhigte mich der Engel.
Darüber war ich erleichtert, aber mein Wissensdurst nicht gestillt. Wo war er? War er verletzt? Wie lange noch, bis ich ihn sehen konnte? Ich musste einfach Bescheid wissen, auch wenn ich sowieso nicht zufriedensein würde, bis ich ihn in die Arme schließen und seinen Geruch einatmen konnte.
»Dein Leben sah vor ein paar Tagen noch ganz anders aus, nicht wahr?« Mathur faltete seine Hände.
Ich sah ihn an, lächelte und fühlte mich etwas wohler. Er erinnerte an einen Großvater, warmherzig und weise.
Was fühlte ich? Ich war immer noch ich. Ich war dasselbe Mädchen wie früher, aber etwas in mir hatte sich drastisch verändert. Im Kopf ging ich alles durch, was ich in den letzten paar Tagen erlebt hatte. Ich hatte meine beste Freundin verloren, Brynn die Stirn geboten, mich verliebt und war von einem schwarzen Engel in Versuchung geführt worden, der alles Gute, das ich je gekannt hatte, zerstören wollte. Ich hatte erfahren, was mit meinem Vater geschehen war, und Mitleid mit ihm gehabt wegen dem, was Hadrian ihm angetan hatte. Ohne meinen Vater würde es mich nicht geben, und ohne mich wäre Hadrians Plan vielleicht aufgegangen. Und ich hätte nie herausgefunden, wie ich wirklich bin, hätte Garreth nicht das Risiko auf sich genommen, menschlich zu werden und mich zu finden.
Ich sah in Mathurs Gesicht, die Falten waren wir eine Linie durch die Zeiten. Ich fragte mich insgeheim, wie alt er wohl war, da fing er an zu kichern.
»Ich bin älter als die Zeit, mein Kind. Aber du hast in acht Tagen mehr gelernt als in einem
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