Engelsstimme
gesagt, dass du damit befasst bist. Ich mache mir Hoffnungen, dass wir die Sache jetzt erledigen können, damit wir wieder unsere Ruhe haben.«
Diesen Leuten war in keinerlei Form anzumerken, dass sie trauerten. Nichts, was auf den Schmerz hindeutete, den der Tod eines nahen Anverwandten üblicherweise auslöst. Bloß kalter Widerwille. Sie waren der Meinung, gewissen Pflichten nachkommen und der Polizei Bericht erstatten zu müssen, ihnen war aber ganz offensichtlich diese Prozedur mehr als zuwider, und sie hatten keine Scheu, das auch deutlich zu zeigen. Es sah so aus, als würde die Leiche, die im Keller des Hotels gefunden worden war, sie nicht das Geringste angehen. Als seien sie über so etwas erhaben.
»Ihr wisst, unter welchen Umständen Guðlaugur gefunden wurde«, sagte Erlendur.
»Wir wissen, dass er umgebracht wurde«, sagte der alte Mann. »Erstochen. Wir wissen, dass er erstochen wurde.« »Wisst ihr auch, wer es getan hat?«
»Wir haben keine Ahnung«, erklärte die Frau. »Wir haben keinerlei Kontakt zu ihm gehabt. Wir wissen nicht, mit wem er Umgang hatte. Haben weder seine Freunde gekannt noch seine Feinde, falls er welche hatte.«
»Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?«
In diesem Augenblick betrat Elínborg die Bar. Sie kam zu ihnen herüber und setzte sich an die Seite von Erlendur. Er stellte sie den beiden vor, aber sie zeigten keinerlei Reaktion, beide fest entschlossen, sich durch nichts von alledem beeindrucken zu lassen.
»Wahrscheinlich, als er etwa zwanzig war«, sagte die Frau. »Da haben wir ihn wohl zuletzt gesehen.«
»Zwanzig?« Erlendur glaubte sich verhört zu haben.
»Wie ich gesagt habe, wir hatten keinerlei Kontakt zu ihm.«
»Und warum nicht?«, fragte Elínborg.
Die Frau würdigte sie keines Blickes.
»Reicht es nicht, wenn wir mit dir sprechen?«, fragte sie Erlendur. »Muss diese Frau ebenfalls anwesend sein?«
Erlendur schaute zu Elínborg hinüber. Es hatte den Anschein, als würde sich seine Miene etwas aufhellen.
»Sein Schicksal geht euch offensichtlich keineswegs nahe«, sagte er, ohne die Frage zu beantworten. »Guðlaugurs Schicksal. Er war dein Bruder«, sagte er und schaute die Frau an. »Er war dein Sohn«, sagte er und blickte auf den alten Mann. »Warum? Wieso habt ihr ihn dreißig Jahre nicht gesehen? Und wie ich bereits gesagt habe, sie heißt Elínborg«, fügte er hinzu. »Falls ihr weitere Einwände habt, werden wir euch ins Dezernat bringen und dort weitermachen, da könnt ihr dann auch eine offizielle Beschwerde einlegen. Hier draußen vor der Tür steht ein Polizeiauto bereit.«
Die Adlernase hob sich beleidigt. Die Dorschaugen zogen sich zusammen.
»Er hat sein Leben gelebt«, sagte sie, »und wir das unsere. Viel mehr ist dazu nicht zu sagen. Es gab keine Verbindung. So war es einfach. Uns war das recht. Ihm auch.«
»Das heißt also, dass ihr ihn seit der Mitte der siebziger Jahre nicht mehr gesehen habt?«
»Es gab keine Verbindung«, wiederholte sie.
»Nicht ein einziges Mal die ganze Zeit? Kein Telefongespräch? Nichts?«
»Nein«, sagte die Frau.
»Warum nicht?«
»Das ist eine Familienangelegenheit«, sagte der alte Mann. »Hat nichts mit dieser Sache zu tun. Nicht das Geringste. Alles begraben und vergessen. Was wollt ihr sonst noch wissen?«
»Wusstet ihr, dass er hier im Hotel gearbeitet hat?«
»Wir haben ab und zu etwas über ihn gehört«, sagte die Frau. »Wir wussten, dass er hier Portier war. Hat so eine absurde Livree getragen und die Türen für die Hotelgäste geöffnet. Und wenn ich richtig verstanden habe, hat er auch auf Weihnachtsfeiern den Weihnachtsmann gespielt.«
Erlendur betrachtete sie unverwandt. Sie sprach so, als hätte Guðlaugur seiner Familie keine größere Demütigung zufügen können, als halbnackt ermordet im Keller eines Hotels aufgefunden zu werden.
»Wir wissen nicht viel über ihn«, sagte Erlendur. »Er scheint nicht viele Freunde gehabt zu haben. Er hat hier in einem kleinen Kellerzimmer im Hotel gewohnt. Er scheint gut gelitten gewesen zu sein. Weil er kinderlieb war, wurde er auf den Weihnachtsfeiern als Weihnachtsmann eingesetzt, wie du gesagt hast. Allerdings haben wir jetzt auch erfahren, dass er seinerzeit eine viel versprechende Gesangskarriere vor sich zu haben schien. Als Junge hat er auf Schallplatten gesungen, ich glaube, zwei waren es, aber das wisst ihr bestimmt besser. Auf der Plattenhülle, die ich gesehen habe, hieß es, er sei im Begriff, eine Tournee durch
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