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Engelsstimme

Engelsstimme

Titel: Engelsstimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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gelogen?«
    »Weil Papa nichts davon wusste.«
    »Nichts wovon wusste?«
    »Dass er gekommen ist. Er muss uns vermisst haben. Ich habe ihn nicht danach gefragt, aber das muss ganz einfach so gewesen sein, sonst hätte er es nicht gemacht.«
    »Was genau hat dein Vater nicht gewusst?«
    »Dass Guðlaugur manchmal nachts zu uns nach Hause kam, ohne dass wir seiner gewahr wurden, er hat einfach nur im Wohnzimmer gesessen und keinen Mucks von sich gegeben und war dann immer verschwunden, bevor wir aufwachten. Er hat das jahrelang gemacht, ohne dass wir davon wussten.«
    Sie schaute auf die Blutflecken im Bett.
    »Bis ich einmal nachts aufwachte und ihn sah.«

Vierundzwanzig
    Erlendur beobachtete Stefanía und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Sie war nicht so arrogant wie bei ihrem ersten Treffen, als Erlendur ihr die Gefühlskälte übel genommen hatte, die sie ihrem Bruder gegenüber an den Tag legte, und er war sich nicht mehr sicher, ob er sie vielleicht allzu voreilig beurteilt hatte. Er kannte weder sie noch ihre Geschichte gut genug, um sich aufs hohe Ross zu setzen, und bereute es jetzt, ihr Gefühlskälte vorgeworfen zu haben. Es war nicht seine Aufgabe, über andere zu urteilen, obwohl er ständig wieder in diese Falle tappte. Er wusste im Grunde genommen nichts über diese Frau, die urplötzlich so zerknirscht vor ihm saß und grauenvoll einsam wirkte. Ihm war klar geworden, dass ihr Leben nicht gerade ein Tanz auf Rosen gewesen war: erst als Kind im Schatten ihres Bruders, dann als mutterloser Teenager und zuletzt als Frau, die ihrem Vater nicht von der Seite wich und höchstwahrscheinlich ihr Leben für ihn geopfert hatte.
    Schweigend standen sie sich geraume Zeit gegenüber, beide dachten nach. Die Tür zur Kammer hatten sie offen gelassen. Plötzlich trat Erlendur auf den Gang hinaus. Er hatte das Gefühl, dass sich dort jemand herumtrieb und lauschte. Er blickte den schlecht beleuchteten Gang entlang, sah aber niemanden. Er drehte sich um und schaute in die hintere Ecke, wo völlige Finsternis herrschte. Er sagte sich, dass jemand, um dorthin zu gelangen, an der offenen Zimmertür vorbeigemusst hätte, und das wäre ihm nicht entgangen. Da war niemand auf dem Gang. Trotzdem hatte er, als er die Kammer wieder betrat, das unbestimmte Gefühl, dass sie sich nicht allein da unten befanden. Wieder war dieser Geruch auf dem Gang, ein schwacher Rauchgeruch, den er nicht zuordnen konnte. Er fühlte sich unwohl an diesem Ort. Der Gedanke daran, wie sie die Leiche vorgefunden hatten, ließ ihn nicht los, und je mehr er mit der Geschichte des Weihnachtsmanns vertraut wurde, desto armseliger und trauriger schien alles in seinen Augen zu sein, da war etwas, von dem er wusste, dass es ihn nie mehr loslassen würde.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte Stefanía, die reglos auf ihrem Stuhl saß.
    »Doch, alles in Ordnung«, sagte Erlendur. »Irgendein komisches Gefühl von mir. Ich hab mir plötzlich eingebildet, da wäre jemand auf dem Gang. Sollten wir nicht einen Ortswechsel vornehmen? Vielleicht einen Kaffee trinken?«
    Sie schaute sich noch einmal in der Kammer um, nickte dann und stand auf. Sie gingen schweigend den Gang entlang und die Treppe hinauf, durchquerten das Foyer und begaben sich in den Speisesaal, wo Erlendur zwei Tassen Kaffee bestellte. Sie setzten sich etwas abseits und versuchten, sich nicht durch die Ausländer stören zu lassen.
    »Mein Vater wäre nicht einverstanden mit dem, was ich jetzt tue«, erklärte Stefanía. »Er hat mir immer verboten, über die Familie zu reden. Er erträgt solches Eindringen in sein Privatleben nicht.«
    »Wie steht es um seine Gesundheit?«
    »Er ist für sein Alter einigermaßen gut dran. Aber ich weiß nicht …«
    Ihre Worte verebbten.
    »Es gibt kein Privatleben bei einer polizeilichen Ermittlung«, sagte Erlendur. »Schon gar nicht, wenn ein Mord verübt worden ist.«
    »Das wird mir so langsam auch immer klarer. Wir hatten vor, das alles von uns fern zu halten, so als ginge es uns überhaupt nichts an, aber ich denke, unter diesen grässlichen Umständen kann sich da niemand raushalten.«
    »Wenn ich dich richtig verstehe«, sagte Erlendur, »hatten dein Vater und du sämtliche Verbindungen zu Guðlaugur abgebrochen, aber er hat sich nachts heimlich ins Haus geschlichen, ohne dass ihr ihn bemerkt habt. Was bezweckte er damit? Was hat er gemacht? Und weswegen?«
    »Ich habe nie eine erschöpfende Antwort von ihm bekommen. Er saß einfach nur im

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