Engelssturz - Zahn, T: Engelssturz - Angelmass
war, das sie zusammenzustellen vermocht hatte, sah sie wahrscheinlich immer noch aus wie eine Vogelscheuche.
Aber für modische Korrekturen war nun keine Zeit mehr. Außerdem würde sie diesmal auch nicht die Rolle der Femme Fatale spielen. Diesmal würde sie an eine elementare menschliche Regung appellieren.
Gier.
Sie hatte sich dem Schreibtisch bis auf drei Schritte genähert, als die Empfangsdame schließlich aufsah. »Guten Morgen«, sagte sie. Ihre Stimme war zwar höflich, aber in dem Blick, mit dem sie Chandris’ Outfit von oben bis unten musterte, lag doch ein leicht verächtlicher Ausdruck. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja«, sagte Chandris und nickte in Richtung der fünf Türen, die in die gebogene Wand hinter der Empfangsdame eingelassen waren. Die Oberklasse-Stimme und Gestik hatte sie immerhin drauf, und sie erkannte auch, dass die Empfangsdame durch diese Demons tration etwas perplex war. »Richten Sie bitte Mr. Amberson Toomes aus, dass Chandris Adriessa ihn sprechen möchte. Wir haben uns auf seinem letzten Flug von Lorelei an Bord der Xirrus kennengelernt.«
Im ersten Moment glaubte sie, die Frau würde sich weigern oder zumindest ihren Ausweis sehen wollen. Doch der Oberklasse-Auftritt hatte ihre hierarchischen Reflexe aktiviert, und ohne ein Wort nahm sie ihr Fon und drückte eine Taste. »Eine Miss Chandris Adriessa wünscht Sie zu sprechen, Mr. Toomes«, sagte sie.
Für eine Weile lauschte sie schweigend, und ihr Blick fiel gelegentlich auf Chandris. Chandris erwiderte den Blick mit der besten Gleichgültigkeit, die sie an den Tag zu legen vermochte – und ging im Geiste mögliche Fluchtrouten durch, falls sie auf die Schnelle einen Abgang machen musste. Falls Toomes nämlich die Polizei rief …
Die Empfangsdame legte den Hörer auf. »Er wird Sie nun empfangen, Miss Adriessa«, sagte sie geschäftsmäßig. »Die mittlere Tür hinter mir.«
»Vielen Dank«, sagte Chandris und ging um den Schreibtisch herum zu der bezeichneten Tür. Das wollte aber noch gar nichts heißen. Vielleicht wollte Toomes sie nur so lange hinhalten, bis die Polizei hier eintraf.
Die Tür öffnete sich automatisch, als sie unmittelbar davorstand. Mit hoch erhobenem Kopf betrat sie den Raum.
Toomes stand auf der anderen Seite des Raums neben einem üppig gepolsterten Stuhl hinter einem Arbeitsbereich, der sich bogenförmig um ihn herum zog und wahrscheinlich doppelt so groß war wie der Schreibtisch der Empfangsdame. Dadurch wirkte der Raum verhältnismäßig klein. »Hallo, Chandris«, sagte er. »Es ist schon eine Weile her, nicht wahr?«
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Amberson«, sagte Chandris und betrachtete ihn, während sie zum Schreibtisch ging. Er war noch genau so, wie sie ihn von der Xirrus in Erinnerung hatte – nur nicht so betrunken. Er hatte immer noch den gleichen lockeren Charme, die gleiche Ausstrahlung von Egoismus und Selbstbezogenheit, und das gleiche animalische Lächeln, mit dem er sie ansah.
Aber vielleicht auch nicht. Die oberflächlichen Merkmale waren zwar noch immer da, doch beim Näherkommen spürte sie eine unterschwellige Vorsicht oder Anspannung, die sie nicht wahrgenommen hatte, als sie das letzte Mal zusammen waren. Vielleicht lag es daran, dass sie sich hier in seinem Büro befanden und von seinen Mitarbeitern umgeben wurden, statt in der relativen Anonymität eines Raumschiffs?
Oder lag es daran, dass sie, als er sie zuletzt gesehen hatte, unter Bewachung zu einem Landungsboot begleitet wurde?
»Also«, sagte er, ging um den Schreibtisch herum und kam ihr entgegen, wobei er sich einen Weg durch die schmale Lücke zwischen dem Schreibtisch und dem Display-Tisch mit einer Anzahl von Statusmonitoren bahnte. Sein Timing war perfekt; er erreichte gleichzeitig mit ihr die Vorderseite des Schreibtisches. »Was haben Sie die ganze Zeit denn so getrieben?«
Für einen Sekundenbruchteil fragte sie sich, ob er von ihr erwartete, dass sie ihn küsste. Doch irgendetwas mahnte sie zur Vorsicht. »Ich war beschäftigt«, sagte sie ihm und warf einen Blick auf die Stühle und die Couchgarnitur an der rechten Wand.
Er vermochte ihren Blick richtig zu deuten. »Machen wir es uns doch etwas bequemer«, schlug er vor und bedeutete ihr, auf einer langen Couch Platz zu nehmen, die nur mit weißen Daunen gepolstert zu sein schien. »Dann können Sie mir alles erzählen.«
Ein Dutzend Gedanken jagten sich auf diesem »langen Marsch« zu dieser Couch in ihrem Kopf. Wollte er sich nun das
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