Engelstanz: Dunkle Verlockung Teil 3 (German Edition)
aus. Stattdessen flog er so weit in die Ferne, bis der Himmel um ihn herum endlos blau war und er beinahe vergessen konnte, dass er Jessamy bei einem anderen Mann gelassen hatte.
Während der Frühling vorüberzog und in den Sommer überging, spürte Jessamy, wie sie immer stärker wurde. Wie eine Blume, die sich der Sonne öffnet. Sie stand auf dem Dach und beobachtete die Manöverübungen in der Luft unter sich. Ihre Blicke folgten der kräftigen Gestalt und den gestreiften grauen Flügeln des Mannes, der nie aus ihren Gedanken verschwand, ob sie nun wach lag oder in der erhitzten Dunkelheit ihrer Träume tanzte.
Galen flog im Mittelpunkt der Einheit und gab wahrscheinlich Anweisungen in seiner leisen Stimme, die wirkungsvoller war als jedes Rufen. Auf ein Wort von Galen hin hellte sich das Gesicht eines Engels sichtlich auf, und Jessamy wusste, dass er ein seltenes Lob ausgesprochen hatte. Galen machte keine falschen Komplimente.
Und doch hatte er ihr gesagt, sie sei wunderschön.
Zwei Tage zuvor hatte sie sich in seine Umarmung geschmiegt, als er sie zu einem ausschweifenden Erkundungsflug durch Raphaels Herrschaftsgebiet mitgenommen hatte, durch dieses ungezähmte Land aus Bergen und Wäldern, Wasser und Himmel. Sie hatte ein Wolfsrudel beobachtet, das um eine Herde grasender Hirsche herumschlich, hatte staunend gelacht, als ein Adlerpärchen sie und Galen ein ganzes Stück begleitet hatte. Und dann waren sie unerschrocken und fröhlich über eine riesige Gänseblümchenwiese gelaufen.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der aufkeimenden Stadt hatte sie ihn gebeten, sie zu fliegen, und es hatte sich wie eine Heimkehr angefühlt. Sein Duft war ihr so vertraut, dass es wehtat. Als sie zum Turm zurückgekehrt waren, hatte sie ihn nicht wieder loslassen wollen, und auch er hatte sie einen Augenblick zu lange festgehalten. Aber trotz seines rohen, unverhohlenen Verlangens trat er zurück und ging davon.
Auf ihren Lippen kribbelte eine Sehnsucht, die an jedem Knochen in ihrem Leib zu nagen begann.
Süße Jessamy.
Trace’ seidiges Schnurren drang flüsternd in ihre Gedanken und erinnerte sie an den vergangenen Abend. Obwohl Galen sie freigegeben hatte, war da dieses stechende Gefühl gewesen, sie würde ihn betrügen – und doch hatte sie gewusst, dass sie sich auf den Kuss des Vampirs einlassen musste. Kein Blut, nur ein einfaches Spiel von Lippen und Zungen. Trace war in sinnlichen Dingen sehr erfahren, und es war ein angenehmes Erlebnis gewesen, aber das Herz hatte ihr nicht bis zum Hals geschlagen, und ihr Blut hatte kein Feuer gefangen. Alles, was sie hatte denken können, war: Er fühlt sich falsch an.
In diesem Augenblick hatte sie erkannt, dass sich jeder Mann außer Galen falsch anfühlen würde.
Trace war kein Dummkopf. Er war einen Schritt zurückgetreten, hatte ihr die Hand unters Kinn gelegt und ihr Gesicht angehoben. »Also«, hatte er mit seiner für mitternächtliche Sünden geschaffenen Stimme gesagt, »du gehörst zu ihm.« Ein boshaftes Lächeln. »Nun gut. Ich habe keine große Lust, mir die Knochen in kleine Stücke brechen zu lassen.«
Sie fing eine herabfallende Feder auf, weiß mit goldenen Fasern. Raphael. Der Erzengel war am vergangenen Abend zurückgekehrt und hatte Stunde um Stunde mit Galen und Dmitri bei Kerzenschein in dessen Arbeitszimmer verbracht. Ihr war klar, dass Galen ein immer wesentlicherer Bestandteil von Raphaels Turm wurde. Womöglich wollte er überhaupt nicht mehr in die Zufluchtsstätte zurückkehren.
Wenn das stimmte …
Jessamy empfand pure Freude über ihre neue Freiheit, die Welt zu sehen und über den Himmel zu fliegen. Aber die Zufluchtsstätte war ihr Zuhause. Dort waren ihre Bücher und die Geschichte, die zu hüten ihre Aufgabe war. Und oh, wie sehr sie die Kinder vermisste. Im Turm gab es keine Kinder.
Ein Windstoß, weiß-goldene Federn tauchten am Rand ihres Blickfeldes auf, als Raphael seine Flügel zusammenlegte. »Was wirst du in deinen Geschichtsbüchern über mein Territorium schreiben?«
»Dass dieser Ort genauso wild und vielversprechend ist wie du.« Er war ein Erzengel, aber weil er auch einmal ihr Schützling gewesen war, vergaß sie das manchmal völlig, und dann sprach sie auf diese lockere Weise mit ihm.
Raphaels Lippen krümmten sich, doch in seinen Augen lag eine zunehmende Härte – so blau , so außergewöhnlich – , die Jessamy schmerzte. Die Politik und die Macht veränderten ihn mit der Zeit. »Wie steht es um Alexanders
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