Engelstation
bei Kit, seinem verunsicherten Verhalten, seinen kalten Augen.
Trommelschläge spannen einen komplexen Rhythmus in Zwölfs Geist. Fremdartige Gedanken trugen in seinem Blut fiebrige Kämpfe aus. Im Hilfskontrollraum schwebend, schaltete er seinen Recorder aus und ließ den Hurrikan der menschlichen Natur in seinem Innern toben.
Leidenschaft. Die Menschen hatten eine so unglaublich leidenschaftliche, so ungestüme Art, die Vorrangstellung ihrer Gefühle zu behaupten. Die Dinge, die ihnen zur Unterhaltung dienten, waren fast immer laute, leidenschaftliche Proklamationen, in denen es normalerweise um Liebe und Sehnsucht ging, manchmal auch um komplexere Gedanken, die aber trotzdem offen und vehement zum Ausdruck gebracht wurden.
Ein Teil der Musik, Striff und manchmal auch Dross, war für gewöhnlich direkt und geradeaus, ein Ritt auf einer donnernden Lawine simpler, treibender Rhythmen. Sie ähnelten den Mustern, von denen die Geliebte Gebrauch machte, wenn es um Schwerarbeit oder um Kampf ging, schlichte, überwältigende Äußerungen dringender Notwendigkeit. Der Inhalt war hier ein anderer, aber Zwölf verstand die Absicht.
Manche Dross-Musik war komplizierter; das Thema war nicht so klar umrissen, sondern subtiler – poetischer , wie Zwölf sich zusammenreimte. Poesie war etwas, was Zwölf abwechselnd hoffnungslos nebulös oder vage subversiv fand, weil sie darauf angelegt war, durch einen geschickten Appell an Bewußtseinsebenen, die für sich allein nicht offen zugänglich oder leicht zu verstehen waren, eine Reaktion zu bewirken … Solche Methoden, dachte Zwölf, konnten von einer listenreichen Intelligenz dazu benutzt werden, das Denken ihrer Feinde zu infizieren.
Am schlimmsten waren die Balladenformen, die von der Dolores-Musik benutzt wurden. Die Melodien waren fast immer traurig, das Thema einfach und direkt – meistens Liebe oder deren Verlust –, aber die konzentrierte menschliche Leidenschaft war überwältigend und immer mit poetischen Begriffen verbrämt. Das wurde noch viel schlimmer, wenn der gerade Dolores-Rhythmus durch einen Stil vergiftet wurde, den Maria als ›Ladino‹ identifiziert hatte, etwas, das Zwölf als abgrundtief schlecht zu betrachten begann. Die Muster waren subtil, der Rhythmus gebrochen, ein Muster ging schleichend in ein anderes über … jede klare rhythmische Aussage wurde zersetzt, ehe ihre Bedeutung vom Zuhörer erfaßt werden konnte. Einige Rhythmen waren in der Tat identisch mit denen der Geliebten, aber falls sie ihren Dienern jemals ein derart zersplittertes Muster übermitteln sollte, würde die Bedeutung völlig unklar bleiben, und es würde nur Konfusion und Kummer hervorrufen.
Außerdem würde jeder Diener der Geliebten den Verstand verlieren, wenn er einer solch konzentrierten Dosis von Leidenschaft ausgesetzt wurde. Zwölf selbst konnte sich nur davor bewahren, indem er sich auf die Anweisung der Geliebten konzentrierte, zu lernen, objektiv zu bleiben und Daten zu sammeln. Wenn er gezwungen gewesen wäre, innerhalb des Wirbelsturmmilieus der Menschheit zu handeln, statt es einfach nur mitzuerleben, wäre er hilflos gewesen.
Er fand diese Konzentration auf Leidenschaft ungebührlich. Die leidenschaftlichen Gefühle selbst waren oftmals unangemessen, selbst im Rahmen des menschlichen Bezugssystems, soweit Zwölf es begriff, und das Beharren der Sänger auf der Wichtigkeit ihrer eigenen Emotionen war über alle Vernunftsgrenzen hinaus egoistisch.
Irgendwann in ihrer Vergangenheit war die Menschheit in Stücke gebrochen, dachte Zwölf. Alle Individuen waren zu Fragmenten geworden, ohne daß eine Geliebte die einzelnen Leben zu einem zweckmäßigen Muster arrangierte. Manche Menschen glaubten, daß es Götter gab, andere nicht. Ubu und Maria waren niemals einem Gott begegnet. Es war unbegreiflich, daß die Menschheit zu ihrem gegenwärtigen Niveau aufgestiegen sein sollte, obwohl ihr Leben und ihre Gefühle ein derartiges Chaos darstellten … Waren es ihre Götter gewesen, die sie so weit gebracht und sie dann aus Gründen, die nur sie allein kannten, im Stich gelassen hatten?
Der Gedanke durchzuckte Zwölf wie ein heftiger Donnerschlag. Würde sich die Geliebte je bis zu einem Punkt entwickeln, wo sie ihre Diener nicht mehr brauchte, und sie dann verlassen, so daß sie ganz allein dahintaumelten, während sie sich mit höheren Dingen befaßte? Bei dem Gedanken krümmte sich Zwölf vor Furcht zusammen.
Aber nein. Seine Aufgabe bestand darin, der
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