Engelstation
Schnellverfahren Synthesizer spielen gelernt, aber er fand die Geräte unbefriedigend. Sizer waren immer richtig gestimmt, ohne die merkwürdigen, schrägen Obertöne, die Ubu beim natürlichen Stimmen am interessantesten fand – es gab Programme, die man in den Sitzer eingeben konnte, um diesen Effekt zu imitieren, aber Ubu konnte es immer hören, wenn jemand damit arbeitete.
Er war auf Saiteninstrumente umgestiegen, zuerst auf die Gitarre und dann auf die Audoline. Es machte ihm Spaß, daß er seine Töne bei diesem Instrument stufenlos verändern und das Spektrum seiner Wahrnehmungen mit neuen, subtileren Tonarten erweitern konnte. Die meisten Leute, mit denen er zusammenspielte, schienen gegen die Effekte immun zu sein, auf die er abzielte, aber ihre Gehirne waren anders geschaltet als seins, und Ubu lernte, nicht mit ihrem Beifall oder ihrem Verständnis zu rechnen.
Nach dem Dolores kam ein Dross-Song, flammend und forte, ein Universum, das mit jedem dröhnenden Akkord zur Unterwerfung gezwungen wurde. Ubus Finger kamen allmählich mit ihrer Aufgabe zurecht; er konzentrierte sich darauf, sich nicht von dem Gedröhn überwältigen zu lassen, auf seinen Einsatz und auf die kleinen Farb- und Geschmacksexplosionen, die von den verminderten Terzen und Septimen in seinem Geist gezündet wurden.
Als der Dross vorbei war, sah er Nestor an. »Was dagegen, wenn ich mir mal die Hohlkörpergitarre nehme, die du übrig hast?« fragte er. »Ich würde gern was mit meinen unteren Armen machen.«
Nestor sah ihn eine kalte halbe Sekunde lang an, dann nickte er.
Die Gitarre war rund hundert Jahre alt, eine Sandman mit dem für die Marke typischen Q-förmigen Korpus aus pinkfarbenem Kunststoff statt der üblichen Dreiecksform. Ubu hatte einen Sandman-Nachbau von seinem Großvater geerbt, den er nie kennengelernt hatte; er fand die Gitarre in einem Schrank an Bord der Runaway nebst anderen Instrumenten, die dort zurückgeblieben waren, als Pascos gesamte Familie auf Atocha ums Leben gekommen war. Der Hals der Sandman hatte gestaffelte Bünde, damit die Obertöne bei jedem Akkord deutlich zu hören waren, und einen ROM-gesteuerten intelligenten Kapodaster, so daß die Saiten richtig gestimmt blieben. Ubu schaltete den Kapodaster aus und stimmte mit den Wirbeln, dann vergewisserte er sich, daß der Tonabnehmer der Gitarre am Mischpult der Garcias angeschlossen war.
Die nächste Nummer explodierte wie eine Nova ins Dasein. Der prachtvolle Klang der Gitarre ließ die grellen Farben in Ubus Geist noch strahlender leuchten. Die Obertöne waren so intensiv, daß er den Rest der Band damit mühelos an die Wand spielen konnte. Ubu sah sofort, daß er aufpassen mußte. Er konzentrierte sich ganz und gar auf seine Technik, auf seine Glissandi mit der linken und seinen Anschlag mit der rechten Hand, auf die weich angeschlagenen Akkorde und die behutsam gezupften Töne dazwischen. Mit der Audoline spielte er eine Harmonielinie, die eine feine, saure Spur über den hinteren Teil seiner Zunge zog, wie ein Spritzer Limone. Am Ende riß er den Hals der Gitarre mit einer langen Bewegung auf und ab, um ein Chorus-Vibrato zu erzeugen, das kleine Wellen aus brennendem Metall in sein Bewußtsein schickte, wie das Licht eines Stroboskops, das von kochendem, tanzendem Quecksilber zurückgeworfen wurde.
Nestor warf ihm einen Seitenblick zu. Darin lag keine Mißbilligung; er ließ Ubu nur wissen, daß er es gehört hatte. Ubu grinste zurück, griff dann nach seinem Ballon und spritzte sich Sharps in den Rachen. Feuer brannte in seiner Kehle, und er lachte auf, während er darauf wartete, daß Nestor der Band den Einsatz gab.
Ubu spielte noch einige Nummern mit vollem Einsatz mit. Er verlor sich völlig im Sound der Band, und die polychromen Muster türmten sich in seinem Geist aufeinander. In jeder Pause verpaßte er sich eine Dosis Sharps. Dann sah er mitten in einem Song, daß Nestor und der andere Gitarrist ihn ansahen – Nestor, als ob sich soeben seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hätten –, und daß Antony ihm ebenfalls scharfe Blicke zuwarf, wann immer er konnte. Ubus Finger erstarrten beinahe, als ihm mit eisiger Kälte klar wurde, daß er auf einen starken Gitarrenoberton abgefahren war und daß ihm die ganze Band gefolgt war, ohne es recht zu merken – daß die hochfliegenden Klänge der Gitarre jeden in eine Melodielinie mitgezogen hatten, die etwa eine halbe Oktave zu hoch war … Antonys Stimmbänder verdrehten sich zu
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