Engelstraum: Schatten der Ewigkeit: Roman (German Edition)
hatte sie geahnt, dass diese Nacht kommen würde, die Nacht der Abrechnung. Sie wollten ihr Blut. Und das schien nur fair, bedachte man, dass sie Jeff seines vollständig ausgesaugt hatte.
»Ich wollte ihn nicht umbringen«, sagte sie, ohne zu Keenan zu sehen. Sie konnte ihn nicht ansehen. Zeit, dass er die Wahrheit erfährt. Sie trat einen Schritt von ihm und der Mauer weg, um sich den Bikern zu stellen.
»Klar, du bist gestolpert und mit den Zähnen in seinem Hals gelandet«, knurrte Mike, der näher kam und seine wülstigen Lippen angeekelt nach oben zog. »Jeff war mein Bruder, die einzige Scheißfamilie, die ich hatte. Ich hab gewusst, dass Vampire hinter uns her waren, aber ich hätte nie gedacht, dass ein Grünschnabel wie du … Tja, er wohl auch nicht.«
Nein.
Sie fühlte, dass Keenan sie anstarrte, und blickte doch ganz kurz zu ihm. »Er hat nichts damit zu tun.«
»Dann soll er verschwinden.« Mike packte ihre Schulter grob. »Du aber verlässt diese Gasse nur in Einzelteilen.«
Der Boden schien zu beben. »Hände weg von ihr«, erklang Keenans tödlich ruhige Stimme.
Aber Mike hatte nur Augen für sie. »Jeff und ich … Weißt du, wie viele Blutsauger wir gekillt haben?«
Nein, aber die vielen Vampirtode erklärten, warum man sie auf Jeff Quint ansetzte. Er macht Jagd auf uns. Jetzt jagen wir ihn. Wir reißen ihm die Kehle auf, lassen ihn bluten. Er soll betteln. Wie lange waren ihr diese Worte immer wieder durch den Kopf gehallt? Wieder und wieder hatte Nicole sie gehört, bis sie ihr Denken, ihren Willen ausschalteten. In der Nacht, als Jeff kam, konnte sie nicht anders, als ihn anzugreifen.
Er hatte nicht einmal mehr die Chance gehabt, seinen Pflock hervorzuholen.
Nicht wie sein großer Bruder.
Mike nahm seine Hand nicht von ihr. Seine dicken Finger drückten auf ihre Schulter, als wollten sie ihre Knochen zermalmen. Die Kerle hinter ihm – fünf waren es, allesamt groß, in Lederkluft und mit einem Fahr-zur-Hölle-Grinsen – näherten sich ihnen.
»Ich habe dir gesagt, lauf weg«, fuhr Mike Keenan an. »Letzte Warnung, Schwachkopf. Bleib bei der Vampirschlampe oder rette deinen eigenen Arsch und hau ab.«
»Geh schon, Keenan«, flüsterte Nicole. Sie würde kämpfen, aber dies war nicht sein Kampf. Und falls es nicht gut für sie ausging, was bei dem Zahlenverhältnis durchaus möglich wäre, wollte sie nicht, dass Keenan für ihre Taten bezahlte.
»Ich gehe nirgends hin.« Er sah Mike an. »Nimm die Finger von ihr, Mensch, oder du verlierst deine Hand.«
Nicole hatte das Gefühl, dass er es wirklich ernst meinte. »Keenan …«
Aber Mike ließ sie nicht los. Stattdessen hob er seinen Pflock höher und hielt ihn unangenehm nahe an ihrem Herzen.
Dann stieß Keenan Mike vor die Brust. Mike flog durch die Luft und krachte in zwei seiner Biker-Freunde.
»Du hast deine Chance gehabt«, sagte Keenan. »Du, Schwachkopf , wärst besser verschwunden, solange du noch die Gelegenheit hattest.«
Mike sprang auf und griff an, alle seine Männer hinter sich. Sechs gegen zwei. Eigentlich keine schlechte Voraussetzung. Genau genommen war sie sogar gut, denn die Biker waren menschlich und …
Keenan sprang vor Nicole, schwang eine Faust, und zwei Kerle flogen rückwärts. Sie stürzten gegen die Mauer und standen nicht wieder auf.
Okay, vier gegen zwei. Noch besser.
Keenan packte den Nächsten bei der Gurgel. Dem Blonden fiel sein Pflock aus der Hand, als er sich gegen Keenan zu wehren versuchte. Sein blasses Gesicht färbte sich lila.
Nicole griff nach Keenans Arm, weil sie fürchtete, der Biker könnte gleich sterben. »Keenan, nicht.«
»Pfeifst du deinen Köter zurück?« Mike stürmte an Keenan vorbei auf sie zu. »Nichts kann dich retten, Schlampe, nichts!«
Mit erhobenem Pflock rannte er auf sie zu. Seine Kumpel umzingelten Keenan. Nicoles Zähne brannten, ihre Krallen verlängerten sich, und dann kam Mike noch näher.
Sie riss ihm den Pflock aus der Hand, zerbrach ihn und warf ihn hinter sich.
Was Mike nicht aufhielt. Nein, er knallte ihr seine Faust mitten ins Gesicht.
Daran erinnerte sie sich zu gut.
Ihre Blutgier wuchs, doch sie stolperte zurück.
»Gut so, lauf, mach dich bereit zu bluten.«
Ähm, nein. Sie würde nicht für ihn bluten. Seine Faust zielte abermals auf sie, doch nun fing Nicole sie mit der linken Hand ab. Dann rammte sie ihm ihre Faust in die Wange. Es war nicht der leichte Schlag wie in ihren Tagen vor dem Vampirsein. Nicoles rechter Haken war kräftig
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