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Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Verhör konnte ungemütlich werden. Sehr ungemütlich. Auch das sah man oft genug im Fernsehen.
    »Dann kommt’s drauf an, dass alle die Klappe halten.« Wiesels Blick blieb an Harri hängen und bohrte sich fest. »Wirklich alle!«

    »Wirklich alle!« Harri wusste nicht, was ihn mehr wurmte. Dass die anderen ihn wie eine Memme behandelten oder dass er unter ihren Blicken rot geworden war. Als ob sie Recht hätten. Er war keine Petze, auch wenn Wiesel das hundertmal behauptete.
    Er kickte ein Stück Treibholz mit so viel Schwung vor sich her, dass es ein paar Meter weit flog, bevor es am Fuß der Strandtreppe liegen blieb. Missmutig sah er die Stufen zwischen Strand und Hochland empor. Früher waren sie aus Holz gewesen, aus hellgrau verwitterten rauen Brettern, von denen sich Splitter lösen und in weich gebadete Füße bohren konnten. Die neue Treppe war aus Kunststoff, der aussah wie geschmolzene Autoreifen, glatt und teerschwarz.
    Die Vorstellung, jetzt dort hinaufsteigen zu müssen, weg vom Wasser und in die Hitze zwischen Häusern und Hecken, machte ihn noch zorniger.
    Warum hatte er keine reichen Eltern wie Enno? Oder eine spendable Oma? Warum musste ausgerechnet er fremder Leute Zäune streichen, um sich ein paar Kröten zu verdienen?
    Neidisch guckte er den anderen hinterher. Weit waren sie noch nicht gekommen, weil sie mehr im Zickzack als geradeaus liefen. Sich bufften und schubsten und vor Jette produzierten, damit sie erkannte, wie stark und supertoll sie waren. Das würde die ganze Strecke bis zum Seedeich so gehen, bis sie ihre Siebensachen irgendwo in den Sand warfen und im Wasser weitertoben würden. Am liebsten Reiterkampf, weil Jette nichts dabei fand, sich in die Schlacht tragen zu lassen. Wer das Glück hatte, sie auf den Schultern zu haben, konnte ihre langen, spillerigen Beine spüren. Am Hals, unter den Armen, am Brustkorb entlang bis zu den Flanken, auf die sie mit den Hacken wie auf einen störrischen Esel einhieb.
    Harri seufzte. Noch mehr als sonst schien ihm das Gute in der Welt ungerecht verteilt. Sehr ungerecht. Er fühlte es wie einen körperlichen Schmerz. Ein fieses Ziehen im Bauch und Herzklopfen, das mit jeder Treppenstufe heftiger wurde. Als er auf dem Hochuferweg anlangte, ging sein Atem schnell wie nach einem Dauerlauf und auf seinem Gesicht lag ein Schweißfilm.
    Dass ihn der Weg, auf dem er mit grimmigen, schweren Schritten durch den Wald trabte, direkt zu Wandas Haus führte, wurde ihm erst bewusst, als er davorstand.
    Zerhackt und zerstochen!
    Der Gedanke kam mit großer Wucht und füllte seinen Kopf für einen Augenblick vollkommen aus. Aber je länger er über das Tor hinweg in den Garten starrte, desto lauter meldeten sich Zweifel an Ennos wüster Geschichte.
    Wo, bitte schön, wimmelte es hier von Polizisten? Kein Mensch weit und breit, der sich für Wandas Haus interessierte. Wenn er lange genug hier stehen blieb, ginge bestimmt irgendwann die Tür zwischen den beiden Rosenbüschen auf und Wanda käme heraus. Er sah sie praktisch schon auf sich zukommen und ihn fragen, ob er zu ihr wolle.
    »Nein«, würde er dann sagen. »Ich bin nur hier vorbeigekommen. Eigentlich muss ich bei Mantheys den Zaun streichen und bin schon ziemlich spät dran.«
    »Dann aber dalli, mein Junge«, würde sie ihn ermahnen. »Es ist nicht schön, wenn du zu spät kommst.«
    Ein Geräusch scheuchte Harri aus seinen Gedanken auf. Vom Waldrand kamen die Schreie eines Eichelhähers. Sein Gezeter verfolgte ihn, bis er an der Gartenpforte der Mantheys ankam. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar, obwohl es zu kurz war, um ungekämmt zu wirken. Er zog sein T-Shirt ordentlich glatt und holte tief Luft. Dann betrat er das Grundstück.
    Es dauerte, bis auf sein Klingeln geöffnet wurde. Zwei, drei Minuten, in denen Harri sich umsah. Beim Anblick des Zauns verging ihm die Lust, überhaupt anzufangen. Fünfzig Euro hin oder her. Es würde Tage dauern, die endlose Reihe von Latten und Querhölzern zu streichen.
    Die kleine Hoffnung, es könnte niemand da sein, machten Schritte im Hausinnern zunichte. Kurz darauf öffnete sich die Tür.
    »Da bist du ja. Wir haben schon fast nicht mehr mit dir gerechnet.«
    Harri entdeckte die Spur eines Lächelns in Armin Mantheys Gesicht. Halb so schlimm also, dass er fast zwanzig Minuten zu spät kam. Trotzdem war ihm unbehaglich zumute. Manthey blieb zwei Stufen über ihm in der Haustür stehen und Harri fühlte sich durch kleine, schwarzgerandete

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