Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Brillengläser gemustert.
»’Tschuldigung auch.« Weil Harri zerknirscht den Kopf senkte, gerieten Mantheys Füße in sein Blickfeld. Sie steckten in Schlappen, wie Harri sie von Frauenfüßen kannte. Flip-Flops. Jette zum Beispiel hatte welche aus quietschgrünem Plastik. Diese waren aus braunem Leder und sahen gut aus zu Khaki-Shorts und weißem Polo-Hemd. Der ganze Mann sah gut aus, fand Harri. Zwar nicht unbedingt schlank, aber groß und muskulös, welliges dunkelblondes Haar, in dem es über der Stirn ein paar dünne graue Strähnen gab.
Dagegen kam Harri sich schäbig vor. Sein T-Shirt ebenso ausgeblichen wie die Shorts vom Vorjahr, die Turnschuhe so rissig, dass sie grau wirkten. Sein igeliger Putz war das Werk seiner Mutter. Alle paar Wochen griff sie zu Kamm und Schere und schnippelte auf seinem Kopf herum, bis beide mit dem Ergebnis leidlich zufrieden waren.
Manthey beendete seine eingehende Musterung und kam zum Geschäftlichen. »Ich nehme an, dein Vater hat dir gesagt, was du tun sollst.«
Harri nickte. »Den Zaun streichen.« Außerdem: sich anständig benehmen. Nicht vorlaut sein, keine Widerworte. Ordentliche Arbeit abliefern. Harri hatte die Litanei noch im Ohr.
»Genau. Und wenn du das vernünftig machst, anschließend auch noch den Schuppen. Aber darüber reden wir, wenn’s so weit ist. Fürs Erste wirst du mit dem Zaun genug zu tun haben.«
Manthey zog die Haustür ins Schloss. Dass er ihm auf dem Weg hinters Haus die Hand auf die Schulter legte, war Harri unangenehm. Zu kumpelhaft. Zu vertraulich. Trotzdem wagte er nicht auf Abstand zu gehen. Und er verzog keine Miene, als Manthey die beiden Flügel der Schuppentür öffnete.
Den Saustall nannte sein Vater, worauf sie blickten. Nur die Geräte, die er benutzte, lehnten in Reih und Glied neben dem Eingang. Harken, Spaten, Rechen, Sense, Sichel. Alles andere war ein heilloses Durcheinander. Harri sah zwei Ruder, einen Außenbordmotor mit abgebrochener Pinne, alte Gartenmöbel, leere Pflanzgefäße. Einen Rasenmäher, so gut wie neu, aber in erbärmlichem Zustand. Was auf der Werkbank stand, war achtlos zur Seite geschoben, um Platz für die Maler-Utensilien zu schaffen. Drei Pinsel in verschiedenen Größen, noch in Folie eingeschweißt. Ein Packen Schmirgelpapier, Drahtbürsten. Auf dem Boden unter der Werkbank drei Fünfliterkanister Holzschutzlasur, daneben leere Konservendosen zum Umfüllen. Manthey hatte an alles gedacht.
»Zeitungspapier, damit das Gras unterm Zaun keinen Schaden nimmt.« Er stupste mit dem Fuß gegen eine Obstkiste voller Altpapier. »Und irgendwo muss noch eine Fußbank sein.« Sie fand sich unter einem Haufen staubiger Jutesäcke.
»Damit wäre deine Ausrüstung wohl komplett. Noch irgendwelche Fragen?«
Harri schüttelte den Kopf.
»Na dann«, sagte Manthey und boxte ihm lächelnd gegen die Schulter. »Frohes Schaffen, junger Mann.« Er ging zum Haus zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sobald er aus Harris Blickfeld verschwand, war auch das nasse Klatschen von Flip-Flops an nackten Füßen nicht mehr zu hören.
Harri sah, wie sich die Gardine im Erdgeschossfenster bewegte, als habe dort bis jetzt jemand gestanden und ihnen zugesehen.
5
Der Mann tigerte im Garten auf und ab. Vom unteren Zaun am Bodden hinauf zur Pforte an der Straße und wieder zurück. Jedes Mal, wenn er am Gartentisch vorbeikam, bat seine Frau ihn, sich endlich hinzusetzen. Ganz nervös mache sie sein Hin- und Hergerenne.
Er konnte nicht. Er musste in Bewegung bleiben, sonst wurde der Druck so stark, dass er fürchtete, in der nächsten Sekunde die Fassung zu verlieren.
Am liebsten hätte er laut gebrüllt. Oder auf irgendetwas so lange eingeschlagen, bis die Bilder in seinem Kopf sich auflösten.
»Na, endlich«, knurrte er, als der Streifenwagen vor dem Grundstück hielt. »Wurde ja langsam auch Zeit«.
»Clemens, bitte …« Die Augen seiner Frau huschten besorgt zur Schnapsflasche neben seiner Kaffeetasse. Schnaps machte ihn schon an normalen Tagen schnell aggressiv. Und dieser Tag war ja wohl alles andere als normal. Es wäre besser gewesen, er hätte auch eine der Tabletten genommen, die der Arzt ihnen dagelassen hatte. Sie jedenfalls war davon ganz ruhig geworden. Fast schon gleichmütig. Trotzdem war ihr Gesicht scheckig und verquollen vom Weinen.
Clemens und Ina Meier aus Zwickau.
Pieplow vergewisserte sich in seinem Notizbuch, dass er sich richtig erinnerte, dann betrat er hinter Schöbel den Garten.
Schöbel
Weitere Kostenlose Bücher