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Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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Das ist wichtig. Sonst kriegt man einen Hitzschlag und kippt um. Einfach so.« Die Armbewegung, die das Umkippen beschrieb, war plump. Wie betrunken.
    Das, wurde Harri plötzlich klar, musste die Erklärung sein. Sie hatte in der Sonne gelegen, getrunken und auf jemanden gewartet. Sich die Zeit mit Sekt oder Wein oder sonst was vertrieben. Da waren die trockenen Lippen kein Wunder, über die sie immer wieder mit der Zunge fuhr, ohne dass Feuchtigkeit zurückblieb. Und auch die unsicheren Schritte nicht, mit denen sie zurück ins Haus ging und Harri hinter sich herwinkte.
    Er folgte ihr nur widerstrebend, ließ die Haustür weit offen und hielt vorsichtigen Abstand.
    »Jetzt komm schon, Harri! So heißt du doch, oder? Harri. Was für ein Name für ein Kind! Hänseln dich die anderen damit? Bestimmt tun sie das. Mit mir haben sie’s auch gemacht. Gesine Apfelsine. Das ging ja noch. Draisine war schon schlimmer. Weißt du, was eine Draisine ist?« Sie blieb stehen und sah sich mit prüfendem Blick zu Harri um. »Nun?«, hakte sie nach, als er schwieg.
    »So ein Schienending?«
    »Genau. So ein Schienending. Und eine Latrine ist ein Donnerbalken.« Bevor Harri ganz begriff, was gemeint war, kreischte sie: »Gesine Latrine! Gesine Latrine!« und wollte gar nicht wieder aufhören. Sie hüpfte im Rhythmus der Wörter und riss dazu die Arme nach oben wie eine Verrückte.
    Harri sah wippende Brüste und bei jedem Hoch der Arme den schwarzen Slip unter der weißen Bluse. Hörte das Klacken der Sandalen auf dem Holzfußboden und dachte, dass er noch nie etwas Verwirrenderes erlebt hatte. Etwas, das Abscheu und Angst mit Erregung und Neugier in einem rasenden Kreiseln mischte, von dem er sich ziemlich duselig fühlte. Er wünschte, der Mann käme und machte dem Spuk ein Ende. Aber von Armin Manthey war nicht das Geringste zu sehen oder zu hören. Harri schwante, dass er allein aus dieser vertrackten Lage herausfinden musste. Aber wie? Das war die Frage.
    Die Toberei endete genauso plötzlich, wie sie begonnen hatte. Gesine Manthey ließ sich in den Sessel fallen, der ein ganzes Stück weg von Sofa und Couchtisch mitten im Raum stand.
    »Ich hab nie begriffen, weshalb sie das machten. Kein Kind versteht das. Gesine Latrine. Warum? Weil ich klein und dünn und rothaarig war? Ängstlich, schüchtern? Weil ich schielte?« Sie hielt eine Hand vor das rechte Auge und ließ die linke Pupille fast im Augenwinkel neben der Nase verschwinden. »Oder weil mein Stall nicht nach Fisch stank?« Ihre ausgebreiteten Arme schienen das Sommerhaus, mit allem, wofür es stand, umfassen zu wollen. »Alte Stralsunder Familie, wenn du verstehst, was ich meine.« Ihr Gesicht verzog sich in einer kindischen Flunsch. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde zu weinen beginnen.
    Unter einer alten Stralsunder Familie verstand Harri, ehrlich gesagt, etwas anderes. Anständige, ehrenwerte Leute. Etwas langweilig vielleicht. Oder spießig. Aber keine halbnackte Frau, die sich vor ihm im Sessel fläzte und unaufhörlich sabbelte. Wieder aufsprang und in die Küche stolperte.
    »Was trinken. Wir wollten doch was trinken. Warum sagst du denn nichts? Brause? Saft? Oder lieber Tee? Nein, Tee sicher nicht. Hätt’ ich auch nicht gemocht, als ich so jung war wie du.« Es klirrte und schepperte, während sie redete. Ohne Punkt und Komma. Ein Wortschwall wie ein Wasserrohrbruch, der an Harri vorbeirauschte, während er Fluchtmöglichkeiten durchdachte und deswegen beinahe überhört hätte, dass sie ihn zum zweiten Mal nach der Uhrzeit fragte.
    Es war zwanzig nach elf.
    »Schon so spät?« Gesine Manthey lehnte im Rahmen der Küchentür und streckte Harri ein Glas Cola entgegen. »Ich versteh das nicht.« Wieder machte sie dieses traurige Kindergesicht, nur weicher diesmal. Ratloser.
    Irgendwie verlassen kam sie Harri vor. Wie eine Zehnjährige, die sich verlaufen hat. Dabei musste sie mindestens viermal so alt sein. Alt genug, um sich das Verrinnen von Zeit selbst zu erklären. Er versuchte es trotzdem. Auch um sie behutsam darauf hinzuweisen, dass er schon längst bei der Arbeit hätte sein können. »Na ja, als ich kam, war es kurz nach elf, und jetzt ist es schon...«
    »Das weiß ich selbst, Mensch!«, fuhr sie ihn so harsch an, dass er zusammenzuckte. »Ich will wissen, warum sie nicht kommt, verdammt!«
    Sie ist verrückt, dachte Harri. Hundert Pro komplett irre. Und ich muss hier weg. Scheiß auf den Zoff, Scheiß auf das Geld!
    In vorsichtigen

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