EngelsZorn - Im Blutrausch
dachte. Er hatte sie in diesem Moment einfach vergessen. Seine Gedanken waren nur noch bei ihr. Er war nicht mehr Herr über seine Sinne. Er war nicht mehr Herr über sich selbst. Unbewusst ließ er sich auf dem Bett neben ihr nieder. Er sah sie nur stumm an. Er vermochte nicht, den Mund zu öffnen, um irgendetwas zu sagen. Sein Herz trommelte ohne Unterlass in seiner Brust. ‚... du siehst aus wie ein Engel, Marie!...‘, wollte er sagen, doch mehr wie ein stiller Gedanke war es nicht.
Marie saß stumm auf ihrem Bett und sah Jean in die Augen. „Ich bin Marie.“, sagte sie abermals zu ihm und lächelte ihn an.
„Ich bin Jean.“, entgegnete er ihr. Es waren die ersten drei Worte, die er über seine Lippen brachte, seit er sie gesehen hatte. Er hatte eine Hure erwartet und einen Engel vorgefunden. Er war derart überrascht, eine bildschöne Frau anstatt einer verdorbenen Hure vorzufinden. Dies hatte ihm in der Tat die Sprache verschlagen.
„Hallo, Jean.“, sagte sie und lächelte ihn abermals an.
‚... was für ein zauberhaftes Lächeln...‘, dachte er und antwortete: „Hallo, Marie.“ Jean war überwältigt, überwältigt von ihrer Schönheit, überwältigt von ihrer Art, überwältigt von dem sanften Klang ihrer Stimme, überwältigt von ihrem Lächeln, überwältigt von dem Zauber, der von ihr ausging.
‚... Jean... was für ein schöner Name. Weißt du, dass du mei n goldener Reite r bist? Du bist schüchtern, nicht wahr? Mei n goldener Reite r ist schüchtern, wie süß!... oh, könntest du ihn nur sehen, Marie-Madeleine! Und es gibt ihn doch!... Jean... Jean... du bist ganz anders als die anderen... anders als Nestor... ich bin glücklich, das s d u zu mir gekommen bist und nicht er... ich hasse ihn, weißt du?... ich hasse ihn sogar sehr... aber wieso bist du hier? Hat er dich etwa geschickt? Aber wieso? Wieso nur? Wieso durftest du zu mir kommen? Bist du gekommen, um mich zu retten, mich hier herauszuholen? Oh Jean, wie schön das wäre... oder träume ich schon wieder?...‘ Maries Gedanken überschlugen sich, während sie ihn betrachtete. Er hatte unglaublich schöne rehbraune Augen. Es war genauso, wie in ihren Träumen. „Was soll ich tun, Jean?“, fragte sie ihn erneut.
„Nichts, Marie.“, antwortete er und sah sie an. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist!?“, sagte er plötzlich.
Marie wurde verlegen und senkte leicht den Kopf.
„Ich hab‘ weder auf der Uni noch auf der Schule eine so bildschöne Frau gesehen! Wobei du ja eigentlich eher noch ein Mädchen bist. Wie alt bist du, Marie?“, fragte er sie.
„Achtzehn!“, antwortete sie rasch.
„Wirklich?“
Sie nickte.
Sie sahen sich stumm an.
Jean konnte sich kaum an ihren umwerfend blauen Augen satt sehen. Tief sah er in sie hinein. Schon lange hatte er vergessen, dass er sie bezahlen wollte, bezahlen dafür, dass sie ihm seine Ruhe ließ. Doch nun, da er vor ihr saß, wollte er nicht mehr in Ruhe gelassen werden. „Marie, darf ich dein Haar berühren?“, fragte er plötzlich.
„Mein Haar? “ Sie sah ihn verwundert an.
Er nickte und strich sich im selben Moment mit seinen Händen verlegen sein gewelltes Haar hinter die Ohren. Das tat er grundsätzlich, wenn er nervös war.
„Ja.“, antwortete sie leise.
Jean erhob seine rechte Hand und berührte Maries gewelltes, langes, dichtes Haar. Es fühlte sich in seiner Hand so wunderbar weich an. Das Blond ihrer Strähne hob sich deutlich von der Farbe seiner Handfläche ab. Er zog sie sich vor seine Nase und roch daran. Es duftete wie ein Meer voller Rosen.
‚... hat ihn Nestor geschickt? Das kann unmöglich sein. Er ist ganz anders. Er passt nicht zu ihm... wie kann das nur sein, dass er hier ist... träume ich etwa? Nein! Ich bin doch wach! Er muss mei n goldener Reite r sein... er muss es einfach sein!‘ Marie beobachtete Jean, während er an ihrer Haarsträhne roch.
Er ließ Maries Haarsträhne aus der Hand gleiten und sah sie abermals an, sah ihr tief in ihre blauen Augen. „Marie, darf ich deine Wangen berühren?“ Jean wusste nicht, was mit ihm geschah und was ihn antrieb, Dinge zu sagen, die ihm heute Morgen noch nicht einmal im Entferntesten in den Sinn gekommen wären, Dinge zu tun, die ihm am Nachmittag noch völlig egal gewesen waren, sich Sachen zu wünschen, die er bis vor einer Stunde noch für völlig unmöglich gehalten hatte. Was war nur los mit ihm? Er konnte sich selbst nicht mehr verstehen. ‚... oh Gott, ich muss dich unbedingt
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