Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Mann?«
»Ja, ich gebe zu, das war falsch von mir, sogar sehr falsch, und ich habe einen großen Fehler gemacht. Aber das ist kein Grund, die Selbstbeherrschung zu verlieren, ganz abzurutschen, sich von einem fremden Herrn an der Gare du Nord auflesen zu lassen und dann sogleich mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Und bitte, wenn Sie so freundlich wären, mir etwas Geld zu leihen, ich möchte morgen früh den Zug nach London nehmen.«
»Selbstverständlich, auf alle Fälle«, sagte Fabrice.
Er drückte ihr einen Packen Banknoten in die Hand und fuhr sie zum Hôtel Montalembert. Er schien von ihrer Ansprache völlig unbeeindruckt und kündigte an, er werde abends gegen acht Uhr wieder da sein und sie zum Dinner abholen.
Lindas Zimmer war voller Rosen, es erinnerte sie an Moiras Geburt.
»Wirklich«, dachte sie kichernd, »eine Verführung wie im Groschenroman, wie soll ich denn darauf hereinfallen?«
Aber sie war erfüllt von einem fremdartigen, ungestümen, unbekannten Glücksgefühl und wusste, dass es die Liebe war. Zweimal im Leben hatte sie sich getäuscht und sie mit etwas anderem verwechselt; es war, als würde man auf der Straße jemanden sehen, den man für einen Freund hält, man pfeift und winkt und läuft hinter ihm her, aber dann ist es nicht nur nicht der Freund, sondern jemand, der ihm nicht einmal besonders ähnlich ist. Ein paar Minuten später taucht der wirkliche Freund auf, und man begreift gar nicht, wie man den anderen überhaupt mit ihm verwechseln konnte. Jetzt blickte Linda in das Antlitz der echten Liebe, sie erkannte es, aber es ängstigte sie auch. Dass die Liebe so beiläufig zu ihr kam, nur dank einer Reihe von Zufällen, war erschreckend. Sie versuchte, sich zu erinnern, was sie gefühlt hatte, damals, am Anfang, als sie in ihre beiden Ehemänner verliebt war. Es musste ein starkes, bezwingendes Gefühl gewesen sein; denn in beiden Fällen hatte sie ihr Leben über den Haufen geworfen, hatte ohne Gewissensbisse ihre Eltern und Freunde empört, um diese Männer zu heiraten, aber an das Gefühl konnte sie sich nicht mehr erinnern. Sie wusste nur, dass sie noch nie, auch nicht in ihren Träumen – und sie träumte viel von der Liebe – etwas gefühlt hatte, das dieser Empfindung auch nur entfernt ähnlich war. Immer wieder sagte sie sich, dass sie morgen nach London zurückfahren müsse, aber sie hatte gar nicht die Absicht zurückzukehren, und sie wusste es.
Fabrice lud sie zum Dinner ein und führte sie dann in einen Nachtklub, wo sie aber nicht tanzten, sondern unendlich lange plauderten. Sie erzählte ihm von Onkel Matthew, Tante Sadie und Louisa und Jassy und Matt, und er konnte gar nicht genug davon hören und stachelte sie zu ungeheuren Übertreibungen bei der Schilderung ihrer Angehörigen und deren verschiedener Marotten an.
»Et Jassy – et Matt – alors, racontez.«
Und sie erzählte, stundenlang.
Auf dem Heimweg im Taxi weigerte sie sich noch einmal, mit ihm zu fahren oder ihn mit ins Hotel kommen zu lassen.
Er insistierte nicht, er versuchte nicht, ihre Hand zu fassen, er berührte sie überhaupt nicht. Er sagte bloß: »C’est une résistance magnifique, je vous félicite de tout mon cœur, madame.«
Vor dem Hotel gab sie ihm die Hand und sagte Gute Nacht. Er ergriff sie mit beiden Händen und küsste sie wirklich.
»A demain«, sagte er und stieg ins Taxi.
»Allô – allô.«
»Hallo.«
»Guten Morgen. Frühstücken Sie gerade?«
»Ja.«
»Ich glaube, ich hörte eine Kaffeetasse klirren. Ist es gut?«
»Es ist so köstlich, dass ich andauernd innehalten muss, aus lauter Angst, ich könnte zu rasch damit fertig sein. Frühstücken Sie auch?«
»Habe schon. Ich muss Ihnen sagen, dass ich lange Unterhaltungen am Morgen sehr mag, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir raconter des histoires.«
»Wie Scheherezade?«
»Ja, genauso. Und bitte ohne diesen Unterton von ›Ich muss jetzt gleich auflegen‹, den die Engländer immer so pflegen.«
»Welche Engländer kennen Sie denn?«
»Einige. Ich bin in England zur Schule gegangen, und zwar in Oxford.«
»Nein! Wann?«
»1920.«
»Damals war ich neun. Stellen Sie sich vor, vielleicht bin ich Ihnen auf der Straße begegnet – wir haben alle unsere Einkäufe in Oxford gemacht.«
»Elliston & Cavell?«
»Jawohl, und Webbers.«
Schweigen.
»Weiter«, sagte er.
»Weiter, womit?«
»Ich meine, legen Sie nicht auf. Erzählen Sie weiter.«
»Ich lege schon nicht auf. Ich plaudere nämlich für mein
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