Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Leben gern. Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, und wahrscheinlich werden Sie lange vor mir auflegen wollen.«
Es entspann sich eine ausgiebige, ziemlich verrückte Unterhaltung zwischen ihnen, und schließlich sagte Fabrice: »Stehen Sie jetzt auf, in einer Stunde hole ich Sie ab, und wir fahren nach Versailles.«
In Versailles, das Linda vollkommen bezauberte, fiel ihr eine alte Geschichte ein, die sie einmal gelesen hatte, über zwei englische Damen, die den Geist Marie-Antoinettes in ihrem Garten am Kleinen Trianon hatten sitzen sehen. Fabrice fand sie außerordentlich langweilig und sagte es auch.
»Histoires«, meinte er, »sind nur interessant, wenn sie wahr sind oder wenn Sie sich diese Geschichten ausgedacht haben, eigens um mich zu amüsieren. Histoires de revenants , die irgendwelche trübseligen, alten englischen Jungfern sich ausgedacht haben, sind weder wahr noch interessant. Donc – plus d’histoires de revenants, madame, s’il vous plaît.«
»Schon gut«, sagte Linda mürrisch. »Ich tue mein Bestes, Sie zu unterhalten – erzählen Sie mir mal eine Geschichte!«
»Na schön – aber diese Geschichte ist wahr. Meine Großmutter war eine sehr schöne Frau und hatte viele Liebhaber, selbst dann noch, als sie schon ziemlich alt war. Kurz vor ihrem Tod war sie mit meiner Mutter, ihrer Tochter, in Venedig, und eines Tages, als sie in ihrer Gondel über irgendeinen Kanal glitten, erblickten sie einen kleinen Palazzo aus rosa Marmor, sehr vornehm. Sie hielten an, um ihn in Augenschein zu nehmen, und meine Mutter sagte: ›Ich glaube nicht, dass jemand darin wohnt, wie wäre es, wenn wir versuchen, ihn uns von innen anzusehen?‹ Sie läuteten also, und es erschien ein alter Diener, der ihnen erklärte, seit vielen, vielen Jahren würde niemand mehr hier wohnen, und wenn sie wollten, könnte er sie herumführen. Sie traten ein und gingen hinauf in den salone , der drei Fenster hatte, die auf den Kanal hinausgingen, und mit Stukkaturen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, weiß auf blassblauem Grund, verziert war. Meine Großmutter schien seltsam bewegt und stand lange Zeit schweigend da. Endlich sagte sie zu meiner Mutter: ›Wenn in der dritten Schublade dieses Schreibtisches dort ein mit Filigran verziertes Kästchen steht, in dem ein kleiner goldener Schlüssel an einem schwarzen Samtband liegt, dann gehört dieses Haus mir.‹ Meine Mutter sah nach, es war da, und es gehörte tatsächlich ihr. Einer der Liebhaber meiner Großmutter hatte es ihr vor langen Jahren, als sie noch recht jung war, geschenkt, und sie hatte es ganz vergessen.«
»Du meine Güte«, rief Linda, »was für ein faszinierendes Leben ihr Ausländer doch führt!«
»Und heute gehört es mir.«
Er fuhr ihr mit der Hand über die Stirn und strich eine herabhängende Haarsträhne zurück: »Gleich morgen würde ich Sie dorthin mitnehmen, wenn …«
»Wenn was?«
»Man muss jetzt hier abwarten, verstehen Sie, wegen des Krieges.«
»Ach, den Krieg vergesse ich immer.«
»Ja, vergessen wir ihn. Comme vous êtes mal coiffée, ma chère.«
»Wenn Sie meine Kleider nicht mögen und Ihnen mein Haar nicht gefällt und Sie glauben, meine Augen seien zu klein, weiß ich gar nicht, was Sie überhaupt an mir finden.«
»Quand même j’avoue qu’il y a quelque chose«, sagte Fabrice.
Wieder dinierten sie zusammen.
Linda fragte: »Haben Sie denn keine anderen Verabredungen?«
»Doch, selbstverständlich. Ich habe sie abgesagt.«
»Wer sind Ihre Freunde?«
»Les gens du monde. Und Ihre?«
»Als ich mit Tony verheiratet war, das war mein erster Mann, da bewegte ich mich in der monde , sie war mein Leben. Damals liebte ich sie. Aber Christian missbilligte es, er wollte nicht, dass ich auf Partys ging, und verscheuchte meine Freunde, er hielt sie für leichtfertig und dumm, und wir trafen nur noch ernsthafte Leute, die versuchten, die Welt in Ordnung zu bringen. Ich machte mich über sie lustig und sehnte mich nach meinen anderen Freunden, aber heute weiß ich nicht mehr recht. Seit ich in Perpignan war, bin ich vielleicht selbst ernsthafter geworden.«
»Jeder Mensch wird im Laufe der Zeit ernsthafter, so geht das eben. Aber gleichgültig, wo man in der Politik steht, rechts, links, Faschist, Kommunist, les gens du monde sind die Einzigen, mit denen man sich anfreunden kann. Verstehen Sie, sie haben aus den persönlichen Beziehungen eine schöne Kunst gemacht und aus allem, was dazugehört – Manieren, Kleider, schöne Häuser,
Weitere Kostenlose Bücher