Englische Liebschaften (Nancy Mitford - Meisterwerke neu aufgelegt) (German Edition)
Langem hatte sie zu ihren englischen Freunden keine Verbindung mehr, sie waren jetzt an alle Enden der Welt versprengt, und auch wenn sie Linda vielleicht nicht vergessen hatten, so gehörte sie doch nicht mehr zu ihrem Leben. Aber Linda wartete natürlich nur auf eines, auf einen Brief oder auch bloß eine Zeile von Fabrice. Kurz nach Weihnachten kam der Brief. Zugestellt wurde er in einem mit maschinenschriftlicher Adresse versehenen Umschlag von Carlton Gardens, der mit einer De-Gaulle-Briefmarke frankiert war. Linda erbleichte, als sie ihn auf dem Tisch in der Halle liegen sah. Sie nahm ihn und stürzte hinauf in ihr Zimmer.
Nach einer Stunde kam sie zu mir. »Ach, Liebling«, sagte sie, die Augen voller Tränen. »Die ganze Zeit habe ich es versucht, aber ich kann kein einziges Wort lesen. Was für eine Quälerei! Willst du ihn dir einmal ansehen?«
Sie gab mir ein Blatt aus dem dünnsten Papier, das ich je gesehen habe; darauf waren anscheinend mit einer rostigen Feder allerlei vollkommen unentzifferbare Hieroglyphen gekritzelt. Auch ich konnte kein einziges Wort erkennen, mit einer Handschrift schien das nichts zu tun zu haben, die Zeichen sahen gar nicht aus wie Buchstaben.
»Ach, Fanny, was soll ich bloß machen?«, fragte Linda.
»Komm, wir fragen Davey«, schlug ich vor.
Sie zögerte einen Augenblick, aber so persönlich die Botschaft auch sein mochte, es war besser, in Davey einen Mitwisser zu haben, als sie gar nicht zu erhalten, und so stimmte sie schließlich zu.
Davey erklärte, sie habe recht daran getan, ihn zu fragen. »In französischer Handschrift bin ich sehr gut.«
»Aber du lachst auch nicht?«, fragte Linda wie ein Kind, mit atemloser Spannung.
»Nein, Linda, ich finde es nicht mehr zum Lachen«, entgegnete Davey und betrachtete mit liebevoller Besorgnis ihr Gesicht, das in letzter Zeit ziemlich abgespannt wirkte. Aber als er das Blatt eine Zeit lang studiert hatte, musste auch er gestehen, dass er mit seiner Weisheit am Ende war.
»Ich habe schon viele schwierige französische Handschriften in meinem Leben gesehen«, meinte er, »aber diese übertrifft alles.«
Schließlich musste Linda aufgeben. Wie einen Talisman trug sie das Blatt Papier in ihrer Tasche mit sich herum, aber sie erfuhr nie, was Fabrice ihr geschrieben hatte. Es war äußerst quälend. Sie schrieb ihm an die Adresse von Carlton Gardens, aber dieser Brief kam mit der Bemerkung zurück, er könne leider nicht zugestellt werden.
»Macht nichts«, sagte sie. »Eines Tages wird wieder das Telefon läuten, und er ist da.«
Louisa und ich waren von morgens bis abends beschäftigt. Wir hatten jetzt ein Kindermädchen (meines) für acht Kinder. Zum Glück waren sie jedoch nicht die ganze Zeit zu Hause. Die beiden ältesten von Louisa besuchten eine Privatschule, und zwei von ihr und zwei von mir nahmen am Unterricht in einem Nonnenkloster teil, das Lord Merlin dank einer glücklichen Fügung des Schicksals in Merlinford für uns gefunden hatte. Louisa beschaffte ein bisschen Benzin, und jeden Tag fuhr einer von uns, sie, ich oder Davey, die Kinder im Wagen von Tante Sadie dorthin. Man kann sich vorstellen, was Onkel Matthew von diesem Arrangement hielt. Er knirschte mit den Zähnen, blitzte mit den Augen in die Runde und sprach von den lieben Nonnen als »diesen verdammten Fallschirmjägern«. Er war vollkommen davon überzeugt, dass sie jeden Augenblick, in dem sie keine Maschinengewehrstellungen für andere Nonnen anlegten, die bald wie Vögel vom Himmel fallen würden, damit zubrachten, die Seelen seiner Enkel und Großnichten zu verführen.
»Die bekommen einen Preis für jeden, den sie fangen, wisst ihr – und dass sie Männer sind, ist ja klar, man braucht sich nur ihre Stiefel anzusehen.«
Jeden Sonntag passte er wie ein Luchs auf, ob die Kinder Kniebeugen, das Kreuzzeichen oder andere papistische Narreteien vollführten oder auch nur ein übermäßiges Interesse am Gottesdienst zeigten, aber auch wenn sich keines dieser Symptome erspähen ließ, beruhigte ihn das nicht. »Die Katholiken sind so verdammt raffiniert.«
Dass Lord Merlin einem solchen Institut auf seinem Grund und Boden Unterschlupf bot, hielt er für äußerst umstürzlerisch, aber es war genau das, was man von einem Mann zu erwarten hatte, der einem Deutsche ins Haus schleppte und ausländische Musik bewunderte. Una voce poco fà hatte Onkel Matthew längst vergessen und spielte jetzt von morgens bis abends eine Platte mit dem Titel
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