Engpass
hinter ihr liegenden Stunden oder vielleicht gerade deswegen. Um sieben ist Hartmut losgefahren. Er hatte die Nacht, oder das, was davon übrig war, in Annas Zimmer verbracht, nachdem sie stundenlang miteinander geredet hatten. Danach hatte er sie auf den Mund geküsst. Elsa hatte ihm zugenickt und in der Sicherheit ihres Zimmers waren die Tränen gekommen.
Ein altes Leben zu begraben, wog schwer, aber es war die Voraussetzung, um ein neues zu beginnen.
Degenwald erscheint im Türrahmen. »So sexy heute, Frau Kollegin?«, flirtet er.
Elsa blickt an sich hinunter. Enger Lederrock, rosa Pullover, Wildlederstiefel.
Das Kompliment macht Elsa unsicher und um davon abzulenken, erkundigt sie sich, ob Degenwald Silke Maihauser gekannt hat.
»Jeder kannte sie. Sie war eben nicht zu übersehen.«
»Und wie standen Sie zu ihr? Hat sie Ihnen gefallen?«
»Ist das ein Verhör?« Degenwalds Grinsen ist eingefroren.
»Interesse, Herr Kollege. Pures Interesse.«
Degenwald hat ihr den Rücken zugekehrt und sucht etwas in ihrem Aktenschrank. Als er es gefunden hat, wirft er den Ordner achtlos auf ihren Tisch.
»Hier, alle Aussagen. Im Schrank finden Sie noch mehr davon. Sie können alles nachlesen. Wenn ich verhört worden wäre, würden Sie es hier drin finden.«
Damit verschwindet er in sein Büro und sie sieht ihn den restlichen Tag über nicht mehr.
Fred Maihauser erscheint pünktlich um zehn, im dezenten Zweireiher und blauer Krawatte, was in seltsamem Kontrast zu seinem Übergewicht steht. Elsa muss sich sein Stammeln anhören und seinen Schwur, dass er Silke Maihauser vergöttert, ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen habe, obwohl ihn der halbe Ort für verrückt erklärte. Ja, sie sei fremdgegangen. Und natürlich habe er sie darauf angesprochen. Aber sie habe nur geantwortet, dass ihm doch nichts abgehe. Sie sei eine agile Frau und lasse sich nicht einsperren. Damit habe er sich schließlich abgefunden.
»Offensichtlich sind Sie eine starke Persönlichkeit, Herr Maihauser. Wem gelingt es schon zu tolerieren, dass seine bildhübsche, junge Frau mit anderen Männern Geschlechtsverkehr hat, vor allem, wenn sich so etwas nicht in der Anonymität einer Großstadt abspielt, sondern auf dem Land, wo jeder jeden kennt und man dem einen oder anderen Nebenbuhler unweigerlich über den Weg läuft? Regelmäßig.« Elsa lässt das Gesagte auf Maihauser wirken. In seinem Gesicht streiten die unterschiedlichsten Gefühle miteinander. Stolz, Verletztheit, gespielte Gelassenheit und sogar Hochmut. Er lässt sich Zeit und Elsa muss ihm gedanklich ein Kompliment aussprechen, als sie seine Antwort hört.
»Ich war zu schwach, sie glücklich zu machen, und zu stolz, von ihr zu lassen.«
Jetzt endlich lächelt sie verständnisvoll. »Ich weiß, was Sie meinen«, sagt sie zu Maihauser. Und dann steht sie auf und bietet ihm einen Kaffee an.
Mit einer Tüte Nussschnecken erscheint sie Stunden später in Degenwalds Büro. Er sitzt am Schreibtisch, den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt.
Elsa setzt sich ihm gegenüber, obwohl sie nicht dazu aufgefordert worden ist. Degenwald nimmt keine Notiz von ihr, sondern telefoniert weiter mit Bramlitz. Nachdem Elsa ihm mehrere Minuten lang zugesehen hat, reißt sie geräuschvoll die Tüte mit den Schnecken auf und legt ihm eine auf den Schreibtisch. Als Degenwald kurz darauf auflegt, schaut er sie fragend an.
»Was wird das, wenn’s fertig ist?«
»Versöhnung«, meint Elsa. Ehe Degenwald antworten kann, klopft es an der Tür. Es ist Ben Fürnkreis. Er grinst bis über beide Ohren und sieht aus, als habe er etwas ausgeheckt.
»Ben?«, begrüßt Degenwald seinen Kollegen und hat endlich Gelegenheit, von Elsa wegzukommen. Zumindest gedanklich.
»Nix da, Karl. Ich will zu Frau Wegener.« Und dann fragt Fürnkreis: »Haben Sie heute schon was vor?«
Elsa schluckt und weiß nichts zu antworten, so perplex ist sie.
Der Abspann flimmert stumm über die Leinwand. Elsa richtet sich im Sessel auf. Ben hält ihr das Popcorn hin.
»Wollen Sie noch mal?«, fragt er.
Elsa schüttelt den Kopf. »Noch eine Handvoll davon und ich muss mich übergeben.«
Gespielt erschrocken zieht Fürnkreis das Popcorn weg. »Ich hatte für den Rest des Abends eigentlich was anderes eingeplant. Gleich um die Ecke ist eine nette kleine Bar.«
»So was gibt’s hier?«, staunt Elsa.
»Glauben Sie mir, auch bei uns wollen die Leute was vom Leben haben.« Ben grinst sein Großjungengrinsen,
Weitere Kostenlose Bücher