Engpass
hier. Klassikradio. Das geht. Es ist ganz anders als sonst. Sie wird vieles anders angehen müssen. Sonst wird das nichts. Das spürt sie genau.
Am nächsten Tag ist die Verbindungstür zu Degenwalds Büro immer noch verschlossen. Elsa unternimmt nichts dagegen. Stattdessen geht sie das Profil der verdächtigen Personen durch. Aurelia und Götz Bramlitz, Fred Maihauser, Birgit Leiner. Sie arbeitet bis in den Nachmittag hinein. Dann ruft Anna an.
»Kann Lars am Wochenende kommen?«
»Natürlich.«
»Okay«, Anna will auflegen.
»Anna!!!«
Zu spät. Sie war schneller als Elsa.
Wenn Lars kommt, denkt Elsa, ist das ein gutes Zeichen.
Gegen Abend ruft Degenwald an.
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Noch nichts.«
»Sauber. Das höre ich gern.«
»Sparen Sie sich die Ironie. Das Ganze ist eine Heidenarbeit. Und die Leute kommen mir nicht gerade entgegen.«
»Sagen Sie bloß.«
»Hören Sie, Degenwald! So geht das nicht. Ich mache mir Gedanken darüber, warum Sie nicht gesprächiger sind. Anstatt zusammenzuarbeiten, kocht hier wohl jeder sein eigenes Süppchen.«
Es knackt in der Leitung. Elsa schaut auf den Hörer in ihrer Hand.
Anna hat Stöpsel in den Ohren. Sie geht ganz in der Musik auf. Lars kommt. Endlich. Sie hat ihn angerufen. Mut macht sich bezahlt. Sie werden es beide zum ersten Mal tun, wenn Lars bei ihr ist. Zwei unbeschriebene Blätter, noch ohne Narben und Altlasten. Anna lächelt selig. Die Welt ist in Ordnung.
Als Elsa nach Hause kommt, duftet es verführerisch. Anna hat Spiegeleier mit Speck und Bratkartoffeln gemacht und auf dem Tisch stehen Blumen. Elsa ist überrascht.
»Hast du Hunger?«, will Anna von ihr wissen.
»Und wie.« Elsa kommt näher. »Du kochst?«
»Ich hatte Lust dazu.«
»Fantastisch.«
Elsa geht ins Bad, um sich die Hände zu waschen, dann setzt sie sich erwartungsvoll an den Tisch. Anna kommt, das Geschirrtuch umgebunden und mit der Pfanne in der Hand, ins Esszimmer. Zwei Spiegeleier und eine Portion Bratkartoffeln rutschen auf ihren Teller. Dann setzt sich auch ihre Tochter.
Elsa weiß, dass sie nichts über Lars sagen darf. Selbst die Aussage, dass sie sich über seinen Besuch freue, wäre zu viel. Sie nimmt Annas gute Laune als Geschenk. Es beschert ihr einige Stunden illusorischen Glücks. Ganz unerwartet.
In der Nacht kann Elsa nicht schlafen. Der Disput mit Degenwald macht ihr zu schaffen. Sie liegt lange sinnierend im Bett. Schließlich steht sie auf, geht ins Bad, zieht sich den Bademantel über und verkriecht sich mit einem Stapel Akten, die sie aus dem Büro mitgenommen hat, ins Wohnzimmer. Sie studiert Bramlitz’ Aussage von vor 20 Jahren, dann die seiner Frau. Als sie den Ordner schließen will, stutzt sie. Unten, wo die Aussage der Vernommenen unterschrieben wird, liest sie ›Anong Bramlitz‹. Elsa nimmt das Schriftstück aus dem Ordner und hält es unter die Leselampe, die neben dem Beistelltisch steht. Ohne Zweifel. Frau Bramlitz hat anstatt mit Aurelia mit Anong unterschrieben. Elsa heftet das Blatt zurück in den Aktenordner. Nachdenklich schaut sie auf den Schieledruck, der an der Wohnzimmerwand über der Garnitur hängt.
Degenwalds Wagen quietscht um die Kurve und hält auf seinem Parkplatz. Elsa steht am Fenster und schaut hinunter. Wenig später geht die Tür nebenan und ihr Telefon klingelt. Doch es ist nicht Degenwald, sondern Ben Fürnkreis. Aurelia Bramlitz sei heute früh tot aufgefunden worden, am Wössener See, wenige Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. Elsa verspricht, sich sofort auf den Weg zu machen. Auf dem Gang klopft sie an Degenwalds Tür.
Ohne auf ein Herein zu warten, tritt sie ein. Degenwald sitzt mit verbissenem Blick vor seinem PC.
»Sie wissen es von Ben, nehme ich an?«, murmelt er, ohne aufzublicken.
Nach Sekunden des Schweigens mustert er sie scharf. Elsas Versöhnungslächeln erstirbt. Schließlich steht Degenwald auf, zieht sich seinen Parka an und meint: »Ich wollte sowieso gerade los.« Wie selbstverständlich steigt Elsa unten in ihren Wagen und folgt Degenwalds Audi auf die Bundesstraße.
»Da hinten ist es.« Degenwald deutet auf die spiegelglatte Fläche des Sees, der hinter einer Baumgruppe unscharf zu erkennen ist. »Im Hochsommer kommen die Jugendlichen zum Schwimmen hierher.«
»Und jetzt?«, fragt Elsa.
»Zum Sterben hätte ich mir was anderes ausgesucht«, umgeht Degenwald ihre Frage.
Gemeinsam kämpfen sie sich durchs Gebüsch, auf das dunkelbraune
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